“Meine Religion ist die Natur”

Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann redet am Kamin über seinen Glauben, was er in Asien gelernt hat, schlaflose Nächte – und warum sich die Unternehmer um Politik kümmern müssen.

Interview: Peter Hossli Fotos: Remo Nägeli

jsa1Schnee fällt in Saanenmöser BE. Kurz nach 10 Uhr am Stephanstag. Bundesrat Johann Schneider-Ammann (61) parkiert seinen Audi Quattro vor dem Hotel Les Hauts de Gstaad. In der Kaminbar setzt er sich ans Feuer, bestellt einen Latte Macchiato. Hier im Berner Oberland verbringt der Wirtschaftsminister die Tage zwischen den Jahren.

Herr Bundesrat, wie gut essen Sie mit Stäbchen?
Johann Schneider-Ammann: Für einen Westler nicht schlecht. Als Geschäftsmann lernte ich es in Japan und China. Habe ich aber richtig Hunger, esse ich lieber mit der Fondue-Gabel.

Sie reisten 2013 mehrmals nach Asien. Was haben Sie dort gelernt?
Geduld. Früher lernte ich es bei Geschäftsleuten in Japan, jetzt bei chinesischen Politikern. In Asien braucht es Zeit. Man sagt nicht einfach Ja oder Nein.
Lösungen müssen sich entwickeln. Es ist ein Prozess, bei dem oft nicht klar ist, wo dieser gerade steht.

Deshalb dauerte es so lange, bis das Freihandelsabkommen mit China stand?
Bewusst nannte ich nie ein Datum. Obwohl ich wusste: Es kommt zustande. Der zuständige chinesische Minister lobte, ich verstünde seine Kultur. Er schätze es sehr, dass ich ihm keine definitive Zusage vorzeitig abringen wollte.

Wie bringen Sie die Weltbühne und das Saanenland zusammen?
Von hier komme ich, hier fühle ich mich wohl. Neben dem Emmental ist das Saanenland meine zweite Heimat. Ich kenne die Leute, sie kennen mich, niemand macht sich hier etwas vor.

Sie sind verwurzelt – und denken gleichzeitig international?
Letztlich ist das die Stärke der Schweiz. Wir sind uns bewusst, wie stabil und geordnet unser Land ist. Da wir klein sind, keine Rohstoffe haben, müssen wir in die Welt hinaus – und dort ohne Hemmungen anderen Kulturen und Religionen begegnen.

jsa2Welche Begegnung hat Sie 2013 besonders geprägt?
Jene mit dem chinesischen Ministerpräsidenten Li Keqiang im Mai. Er sprach klar, jeder verstand ihn. Wir sassen am Tisch, als ob wir uns lange kannten. Nie liess er mich spüren, hier trifft die Grossmacht auf den Kleinstaat. Es war eine Begegnung unter Gleichberechtigten.

Ihr Sohn ist Anfang Jahr mit 33 Jahren Chef der einst von Ihnen geführten Bauausrüsterfirma Ammann geworden. Was passiert mit einem Vater, wenn der Sohn in seine Fussstapfen tritt?
Der Vater hatte in den ersten Monaten schlaflose Nächte. Oft stellte ich mir die Frage: Was habe ich den Kindern angetan? Es ist ein Unternehmen mit mehreren Tausend Angestellten – eine riesige Herausforderung für Sohn und Tochter. Heute bin ich stolz, kann dankbar sagen: sie sind sehr erfreulich unterwegs.

Wie können Sie das beurteilen?
Da ich seinerzeit mit 31 Jahren selbst die gleiche Herausforderung annahm, weiss ich genau, was bei ihnen passiert, wie gross die Herausforderung ist.

Übernehmen die Kinder, ist das ein Zeichen, dass man älter geworden ist. Wie gehen Sie damit um?
Als Bundesrat altert man ja doppelt schnell. Die aktive Zeit als Unternehmer ist abgeschlossen, das ist mir bewusst. Jetzt habe ich eine faszinie­rende, anspruchsvolle Phase als Bundesrat.

Die im Ruhestand mündet?
Meine aktive berufliche Zeit ist danach wohl abgeschlossen. Meiner Frau habe ich versprochen, dass ich dann für sie Zeit habe. Sie ermöglichte es mir, die Firma zu führen, Bundesrat zu sein. Es muss eine Zeit geben, in der sie etwas zurückerhält, in der ich nicht jeden Tag daran gemessen werde, ob ich liefere.

jsa3Sie schrieben in der evangelischen Zeitschrift «Die Viertelstunde». Wie wichtig ist Ihnen Gott?
Klassisch gläubig bin ich nicht. Meine Religion ist die Natur. Deshalb bin ich im Oberland. Gehe ich ein paar Stunden im Schnee, werde ich ruhig. Wenn ich draussen höre, rieche, aufnehme, fühle ich mich getragen.

Sie haben 2013 die Abzocker-Initiative gegen Thomas Minder verloren. Wie schlagen Sie ihn bei der Einwanderungs-Initiative?
Für mich war die Minder-Ini­tiative auch eine persönliche Niederlage. Mir gelang es nicht, egoistische Selbstbediener freiwillig zu Bescheidenheit zu bringen.

Warum haben Sie nicht früher auf Lohnexzesse hingewiesen?
Ich war der Erste, der schon 2002 an der Swissmem-Generalversammlung die überrissenen Löhne kritisierte. Und ich warnte davor, dass es zu einer Situation kommen könnte, wo der Staat zum Eingreifen gezwungen wird. Aber zu viele Konzernchefs haben es mir nicht geglaubt.

Warum nicht?
Leider will sich nicht jeder Konzernchef mit Schweizer Politik auseinandersetzen. Sie sind in der Welt zu Hause und haben das Gespür zu unseren Stimmbürgern entweder nie gehabt oder zu oft verloren. Meine Neujahrsbotschaft an die Chefs der Schweizer Unternehmen: Wenn Ihr wollt, dass die Rahmenbedingungen gut bleiben, müsst Ihr Euch um die Bürgerinnen und Bürger kümmern, um Schweizer Politik. Ihr könnt das nicht delegieren, nicht an Verbände, nicht an Personalchefs. Ihr müsst selber antreten.

Welche Chefs sprechen Sie an?
Alle. Es braucht jene der kleinen und der grossen Firmen. Es braucht Unternehmerinnen und Unternehmer, die von den Vorteilen des Standortes Schweiz überzeugt sind, sodass sie diese nicht einfach der Politik überlassen. Es braucht die Hayeks, Nosers, Spuhlers, Vogts und Wandfluhs – und es braucht die Chefs der Finanz- und Pharmabranche.

Warum wollen Sie Minder schlagen?
Ich will nicht Minder oder die SVP schlagen. Ich will die Schweiz offen halten. Die Masseneinwanderungs-Initiative trifft sicher einen Nerv. Wir können nicht beliebig viele Zuwanderer aufnehmen, dies könnte das geordnete Zusammenleben zu sehr belasten.

Doch Sie lehnen die Initiative ab.
Wir stimmen über einen radikalen Schritt ab. Über Massnahmen, die Probleme nicht lösen, sondern neue schaffen. Halten wir uns Europa offen für Fachkräfte und bringen Missstände unter Kontrolle! Dafür haben wir flankierende Massnahmen. Das bringt Ordnung im Stall.

Sie selbst sind wohlhabend. Was bedeutet Ihnen Geld?
Ich weiss, ich bin privilegiert und muss mir nie überlegen, ob ich die nächste Monatsmiete zahlen kann. Geld gibt mir Sicherheit, etwas zu wagen. Um möglichst vielen eine Perspektive zu ermöglichen. Ich habe grössten Respekt vor allen, die den Franken zweimal umdrehen müssen, bevor sie ihn ausgeben.

jsa_hossliWie begehen Sie Silvester?
Gemütlich mit Freunden auf der Alp – unsichtbar für die Medien.

Halten Sie sich an Vorsätze?
Je älter ich werde, desto seltener tue ich das. Heute fasse ich keine überprüfbaren Vorsätze. Stattdessen blicke ich in den Spiegel und frage mich selbstkritisch: Tue ich alles, damit es dem Land gut geht und sich die Leute wohl fühlen?

Sie selbst könnten längst auf­hören. Was treibt Sie noch an?
Auf Reisen sah ich oft Elend und Armut. Mir ist bewusst, wie privilegiert wir sind. Privilegien verpflichten, einen Beitrag zu leisten. Das treibt mich an.