Der hat Ruhm keinen Einfluss auf mein Leben

Er hat grosse Kinoerfolge gefeiert, die durch zwei Oscars gekrönt wurden. Doch seit vier Jahren ist der amerikanische Schauspieler Kevin Spacey in erster Linie Theaterdirektor in London.

Interview: Peter Hossli

Sie verbringen vierzig Woche pro Jahr in London. Wir sitzen in einem New Yorker Hotel. Was tun Sie hier?
Kevin Spacey: In bin in New York für Theaterstück «Moon for the Misbegotten», das wir an den Broadway bringen.

Sie produzieren Theaterstücke in London und bringen sie nach New York. Ist das Old Vic ein Off-Off-Browadway-Theater?
Spacey: Ich hatte stets gehofft und mir gewünscht, unsere Arbeit nicht nur nach New York zu bringen, sondern in viele andere amerikanische und internationale Städte. Wir können uns über Politik oder politischen Themen streiten. Theaterstücke und Künstler aber bieten Mittel an, sich besser zu verstehen und freundlicher miteinander umzugehen.

Sie sind im Jahr 2003 nach London gezogen. Wann haben Sie sich dazu entschieden, Ihr Leben zu verändern?
Spacey: Ich entschied mich 1999, das Old Vic zu übernehmen. «American Beauty» war eben in den Kinos angelaufen. Mittlerweile habe ich nicht mehr das Gefühl, ich richte mich in London ein, jetzt ich lebe in London. Es ist der Ort, wo ich wohne, und zwar für die nächsten acht oder neun Jahre.

Ihr Entscheid fiel zu einem Zeitpunkt, als Ihre Filmkarriere im Zenit stand. Warum haben Sie sie für ein Theater aufgegeben?
Spacey: Es kommt darauf, was man über das Kino denkt. Ich habe nichts aufgegeben oder hinter mir gelassen. Ich marschiere auf etwas Neues zu. Jetzt tue ich etwas, das mir viel mehr bedeutet. Ich kann am Theater in London mehr Menschen beeinflussen und berühren als ich das im Kino könnte.

Wie denn? Das Kino erreicht doch viel mehr Leute.
Spacey: Filme können Menschen durchaus berühren. Aber das Theater ist real, etwas Handfestes. Ein Theaterstück kann einem Publikum das aufregendste und denkwürdigste Erlebnis überhaupt bescheren. Es gibt viele Filme, aus denen man rausgeht und sie vergessen hat, bevor man beim Parkplatz angekommen ist. Ein Theaterstück bleibt einem lange erhalten, ebenso eine schauspielerische Darbietung auf der Bühne.

Im Vergleich zu Filmen sehen aber nur wenige Menschen Theaterstücke.
Spacey: Wir beeinflussen die Leute zusätzlich durch unsere Arbeit an über 3000 englischen Schulen. Wir arbeiten mit jungen Schauspielern, Autoren und Regisseuren im Altern zwischen 18 und 25. Ich sehe tagtäglich die nachhaltige Wirkung auf das Selbstbewusstsein der jungen Menschen, auf deren Fähigkeit zu lernen, mit anderen Künstlern zusammenarbeitet. Kinder, die 11 oder 12 Jahre alt sind, stehen dank uns auf der Bühne und entdecken zum ersten Mal, was sie alles können. Das vermittelt ihnen sowohl Leidenschaft wie Halt im Leben. Sie lernen, für sich einzutreten und sich darzustellen, dabei spielt es überhaupt keine Rolle, welchen Beruf sie dereinst ergreifen.

Sie sprechen darüber, was Sie anderen geben. Was erhalten Sie?
Spacey: Ich tue das nicht, um etwas zu erhalten. Ich tue es nur, um zu geben. Ich habe mich zehn, fünfzehn Jahre meines Lebens ausschliesslich auf meine Karriere konzentriert. Das interessiert mich nun nicht mehr, es ist mir sogar Scheissegal. Ich hatte eine ausserordentliche Karriere, einen erstaunlichen Lauf. Es lief mir besser als ich es mir je hätte vorstellen können. 1999, in mitten des Erfolges von «American Beauty», ging ich in mich und redete mit den Leuten, die mir wichtig sind. Ich fragte mich: «Was soll ich nun tun? Soll ich die nächsten zehn Jahre damit verbringen, einen Film nach dem anderen zu drehen und versuchen, immer noch besser zu werden, en vogue zu bleiben, sicherzustellen, dass meine Filme Geld bringen?» Ich wollte dieses Leben nicht mehr, es befriedigt mich nicht. Warum sollte ich mich bis ans Lebensende wiederholen? Besser und richtig ist es doch, meinen Erfolg sinnvoll einzusetzen. Es interessiert mich wirklich nicht, in Beverly Hills in einem nierenförmigen Swimming Pool zu sitzen, Tantiemen zu kassieren und nicht einmal zu arbeiten. Ich mag es zu arbeiten und zwar jeden Tag. Ich mag es, inspiriert, berührt und herausgefordert zu werden, in Panik zu geraten und mich wirklich um etwas zu kümmern.

Es gibt viele aufrichtige Menschen, die in Beverly Hills im Schwimmbad sitzen.
Spacey: Ihnen wünsche ich viel Glück, sie sollen ertrinken. Ich habe keinerlei Respekt für Menschen, die mehr und mehr und noch mehr Geld scheffeln, sich Häuser kaufen und Flugzeuge und nichts anderes tun, als einmal im Jahr bei einem Wohltätigkeits-Nachtessen aufzukreuzen. Das ist einfach nicht genug. Willst Du die Leute ändern? Willst Du die Welt besser machen? Dann musst Du Dich jeden Tag dafür stark machen.

Warum stehen Sie am morgen auf?
Spacey: Um Familien zu kreieren, was im Theater möglich ist. Das geht bei Filmen nicht. Dort arbeitet man mit jemanden einen Tag, man dreht zwei Szenen und sieht sich nachher nie mehr, vielleicht noch an der Premiere. Beim Theater kommt man jeden Tag zusammen, vier, sechs, acht Stunden am Tag während fünf oder sechs Wochen. Man trifft sich jeden Abend, um eine Geschichte dem Publikum zu erzählen. Ein Stück wächst, wird besser, verändert sich vom Anfang bis zum Ende der Aufführungszeit. Es entstehen Beziehungen, die andauern. Die Leute werden Teil einer Familie. In den vergangenen zweieinhalben Saisons haben wir am Old Vic neun Familien gegründet – mit neun Theaterstücken. Der Familie gehören nicht nur die Schauspieler an, es ist das ganze Personal, die Techniker, die Leute hinter der Bühne, ja sogar die Platzanweiser. Sie alle sind Teil einer Familie. Ich mag Familien. Was ich nicht mag, nie mochte, ist Oberflächlichkeit. Das versuche ich jetzt zu vermeiden.

Das Filmgeschäft ist oberflächlicher?
Spacey: Überrascht Sie das? Wohl kaum.

Sie haben im Kino viele düstere Figuren gespielt. Hilft Ihnen der Umzug nach London, diesen stereotypen Rollen zu entkommen?
Spacey: Es wird immer Regisseure und Produzenten geben, die mich einordnen. Dagegen kann ich nichts tun. Ich habe aber stets versucht, mich nicht zu wiederholen. Und selbst wenn ich Figuren spiele, die gewisse Ähnlichkeiten mit anderen haben – es sind nie dieselben Rollen. Sonst hätte ich ja viel Zeit damit verbracht und enorm viel Geld verdient, eine ganze Anzahl wirklich schlechter Filme zu drehen, schlechte Versionen dessen, was ich zuvor gemacht haben. Zurück zu Ihrer Frage: Die Rollen, die mir am Schluss offeriert worden sind, haben mich nicht mehr interessiert. Meine besten Rollen habe ich stets gekriegt, weil andere sie nicht wollten. Oder weil ein Regisseur mich wirklich wollte und für mich gekämpft hatte.

Sie haben zwei Oscars gewonnen und sollten jetzt doch jede Rolle bekommen, die Sie wollen.
Spacey: Falsch. Ich kann nur das machen, was man mir anbietet. Zudem kann ich selber produzieren oder versuchen, eine Rolle zu kriegen. Aber mir wird längst nicht jede gute Rolle offeriert. Da ich meine Theater-Sucht finanzieren muss – ich werde am Old Vic ja nicht bezahlt –, muss ich ab und zu einen Film drehen. Natürlich hoffe ich, Filme zu wählen, mit denen ich am nächsten Morgen leben kann. Aber nicht jeder Film wird grossartig, das trifft auch für Theaterstücke zu. Es ist ja keine exakte Wissenschaft.

Was gibt Ihnen das Theater?
Spacey: Mein Leben, mein ganzes Leben, vom Anfang bis ans Ende. Ohne Theater hätte ich keine Filmkarriere. Hätte ich nicht zehn Jahre lang auf der Bühne das Handwerk gelernt, hätte ich keine Filmkarriere. Für mich war das Theater nie ein Trittbrett für das Kino.

Zeit ist zentral bei Filmen und im Theater. Wie gehen Sie mit Zeit um?
Spacey: Mein Motto lautet: Nutze die Zeit, die Du hast. Habe ich acht Wochen, um ein Theaterstück zu proben, probe ich acht Wochen, habe ich vier, probe ich vier, habe ich 24 Stunden, so probe ich 24 Stunden. Zeit ist auf Deiner Seite, wenn Du sie willkommen heisst. Ich glaube wirklich, dass die Zeit Deine Freundin sein kann. Ich arbeite viel besser mit einem Abgabetermin. Auf Zeitdruck reagiere ich gut. Es zwingt mich, rasch zu denken. Es zwingt mich, Lösungen zu finden. Kann ich ein Problem nicht mit Geld lösen, zwingt mich Zeitdruck überdies, kreativ zu sein.

Wie schwierig ist es für einen Hollywoodstar, mit den harschen englischen Kritikern zu Recht zu kommen?
Spacey: Der Begriff Hollywoodstar ist nicht nur falsch, er zeugt von journalistischer Faulheit. Ich lebe nicht in Hollywood, ich bin ein Charakterschauspieler, der vornehmlich im Theater arbeitet und Erfolg hatte mit Filmen. Ich bin kein Star. Das ist ohnehin kein Beruf. Ich bin ein Schauspieler. Und ich bin ein künstlerischer Direktor. Und doch beschreibt mich die Presse stets als Hollywoodstar. Warum? Weil sie glauben, dass die Leute mich ausschliesslich so sehen. Dabei ist es einfach nur Faulheit. Ich kann jegliche Art von Kritik ertragen – so lange fairen Revier vorgetragen wird.

Wie schwierig war es für Sie, Ihre Sachen zu packen und in ein anderes Land zu ziehen?
Spacey: Es ist etwas Aussergewöhnliches, nach vierzig Jahren in den USA sein Leben aufzugeben und woanders hinzuziehen, die Kultur zu wechseln, neu anzufangen. Das einzige, was ich wirklich vermisse, sind meine Freunde sowie Orte in New York und Erlebnisse, die ich dort hatte. Mittlerweile habe eine schöne Zahl von Freunden in England – und wie gesagt viele neue Familien. Ich bin sehr glücklich in London, glücklicher als je zuvor.

Einer Ihrer Freunde ist der berühmte junge Küchenchef Jamie Oliver. Wie schmeckt Ihnen denn das Essen in London?
Spacey: Ich habe eine Wohltätigkeitsveranstaltung mit Jamie besucht. London ist eine internationale Stadt. Man kann hier essen, was man will. Es stimmt schon lange nicht mehr, dass die Leute über das britische Essen schnöden.

Wie wirkt sich das Engagement am Old Vic auf die Wahl Ihrer Filmrollen aus?
Spacey: Überhaupt nicht. Ich habe eine einfach Regel: Wenn mir ein Film angeboten wird, der mich interessiert, und ich kann ihn neben meiner Tätigkeit am Old Vic drehen, nehme ich ihn an. Geht das nicht, lehne ich ab.

Dann hat das Old Vic Priorität?
Spacey: Absolute Priorität.

Sie könnten sehr viel mehr Geld verdienen als Filmschauspieler. Was bedeutet Ihnen Geld?
Spacey: Ich halte es nicht für fruchtbar, Vergleiche anzustellen, wie viel man mit Filmen oder wie viel mit Theater verdienen könnte. Bei mir ist es eine ganz bewusste Entscheidung. Beim Old Vic bedeutet mir Geld enorm viel. Wir könnten ohne Geld nichts tun. Persönlich? Ich möchte in allen möglichen Arten reich leben, die wirklich wertvoll sind.

Was bedeutet es Ihnen, berühmt zu sein?
Spacey: Es bringt mir mehr Vorteile als Nachteile. Da ich ziemlich durchschnittlich aussehe – mit einem Hut sehe ich aus wie ein Bankier –, lassen mich die Leute in Ruhe. Demnach hat der Ruhm keinen Einfluss auf mein Leben. Allerdings glaube ich fest daran, gewisse Grenzen einzuhalten. Ich habe nie eine Grenze überschritten.

Was meinen Sie damit?
Spacey: Dass die Tatsache, dass ich berühmt bin, auf mein Privatleben übergreift. Das habe ich nie zugelassen, das werde ich nie tun.

Was ist Ihre Schwäche?
Spacey: Hunde.

Dann würden Sie und ich nicht miteinander auskommen. Warum Hunde?
Spacey: Hunde bringen mich zum Schmelzen. Ehrlich gesagt, ich habe dieselben Schwächen wie alle anderen. Auch ich bin ein Opfer meiner eigenen Anmassungen, meines eigenen Stolzes, meiner eigenen Dummheit. Aber ich habe meine Lektionen gelernt und versuche, nicht zweimal dieselben Fehler zu machen.

Wie gehen Sie mit Ängsten um?
Spacey: Ich fühle mich sicherer, wenn ich eine Figur darstelle und wenn mich ein grossartiger Regisseur mit einer Vision führt, als wenn ich bei einer Preisverleihung allein auf die Bühne muss. Ich hoffe allerdings, dass ich die Angst nie verliere. Adrenalinstösse helfen mir bei der Arbeit. Wenn ich einfach jeden Abend auf die Bühne stehen und mich nicht mehr fürchten würde, dann wäre ich nicht mehr motiviert.

Wie reagierten Ihre Eltern, als Sie ihnen sagten, sie würden Schauspieler werden?
Spacey: Ein solches Gespräch hat nie statt gefunden. Meine Eltern wussten lange vor mir, dass ich Schauspieler werden würde. Ich war der Unterhalter der Familie. Mit acht Jahren habe ich angefangen aufzutreten. Das war kein Entscheid, es ist einfach passiert. Bis ich 15 war, habe ich nicht realisiert, ein Schauspieler zu sein.

Gibt es Filme oder Theaterstücke, die Sie dazu bewogen hatten, Schauspieler zu werden?
Spacey: Es sind Dutzende gewesen. Henry Fonda, Spencer Tracy, Jimmy Steward oder Katherine Hepburn im Kino zu sehen waren für mich tolle Erlebnisse. Zuerst habe ich mich in grossartige Filme verliebt, schliesslich in grossartiges Theater. Dann sagte ich mir: «Das will ich auch tun.»

Gibt es Filmrollen, die Sie gerne verkörpert hätten?
Spacey: Es gibt zwei oder drei Filme in den letzten 15 Jahren, in denen ich gerne mitgespielt hätte, bei denen der Regisseur aber mich nicht wollte.

Welche waren es?
Spacey: Ich plaudere nie aus dem Nähkästchen. Das ziemt sich nicht. In all diesen Filmen hat mich der Schauspieler, der die Rolle schliesslich kriegte, nicht enttäuscht.

Sie sind eng befreundet mit dem ehemaligen amerikanischen Präsident Bill Clinton. Was mögen Sie an ihm?
Spacey: Er wird als einer der grossartigsten Präsidenten in die Geschichte eingehen. Was er als Ex-Präsident tut, ist phänomenal. Er bringt enorm viel Aufmerksamkeit für viele wichtige Themen. Es ist bewundernswert, wie viel Druck er auf Regierungen und Firmen ausübt, damit sie anderen helfen.

Was verbindet Euch?
Spacey: Wir sind seit vielen Jahren enge Freunde. Ein Grund dafür ist wohl, dass wir ähnliche Ideen haben, was unsere Positionen und Rollen sein können. Ich sehe eine Rolle in einem Film oder mein Job am Theater nicht einfach als eine künstlerische Aufgabe. Es ist eine Führungsaufgabe. Als Führungskraft muss ich ein Umfeld schaffen, in dem alle ihr bestes geben können, in dem sie sich wohl fühlen, in dem ihr Betrag so wertvoll ist wie meiner. Obwohl ich oft die Aufmerksamkeit kriege, leiste ich längst nicht die gesamte Arbeit. Ich denke, Präsident Clinton denkt ziemlich genau so. Er kann Leute zusammen bringen. Und er kann seine Position nutzen, um Leute zu beeinflussen, Gutes zu tun. Das ist, in der Essenz, was ich den Rest meines Lebens tun möchte.

Kevin Spacey, 47, ist einer der renommiertesten Charakterdarsteller unserer Zeit. Auf der Bühne wie für die Leinwand hat er unvergessliche Figuren geschaffen. In den neunziger Jahren trat er in Kino-Klassikern wie «Seven», «L.A. Confidential», «The Usual Suspects» oder «American Beauty» auf. Für die letzten beiden Filme gewann er je einen Oscar. 2003 gab er bekannt, sein Leben und seine Karriere grundsätzlich zu ändern. Er zog nach London und übernahm als künstlerischer Direktor das Old Vic, eines der ältesten Theater in London. Nebenbei tritt Spacey noch immer in Filmen auf, zuletzt als Bösewicht in «Superman Returns». Allerdings, sagt er, «meine Priorität liegt beim Old Vic.»