Geld macht nicht glücklich

Sein jüngstes Kind ist gleich alt, wie die Bank, die er führt. CEO Adrian Künzi sagt, warum Notenstein Erfolg haben wird.

Interview: Peter Hossli und Roman Seiler, Fotos: Marco Zanoni

andriankunzi2Adrian Künzi (39) hüllt sich in edles, aber unauffälliges Tuch, massgeschneidert in London. Der in Biel BE aufgewachsene Betriebswirt wandelte sich Ende Januar vom Bankier zum Banker. Zuvor war er einer von acht mit dem Privatvermögen haftenden Partner des St. Galler Geldhauses Wegelin & Co. und leitete deren Niederlassung in der Romandie. Die Teilhaber traten den grössten Teil der Bank für mehr als 500 Millionen Franken in einem Notverkauf an Raiffeisen ab. Die USA klagten Wegelin wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung an. Raiffeisenbanken-Chef Pierin Vincenz beförderte Künzi zum CEO der neuen Notenstein Privatbank AG. Sie verwaltet 20,8 Milliarden Franken von 20000 Kunden.

Ihr jüngstes Kind ist fast gleich alt wie die Bank Notenstein. Wie oft sehen Sie es und seine zwei älteren Geschwister?
Adrian Künzi: Unter der Woche sehe ich sie nicht oft. Am Wochenende versuche ich, wenigstens ­einen Tag für die Familie dazusein.

Wechseln Sie Windeln?
Ich mache fast alles. Um in der Nähe des Notenstein-Hauptsitzes zu wohnen, zügelten wir von Lausanne ins ausserrhodische Teufen. Nun achten wir darauf, dass unsere Kinder ihre Französischkenntnisse nicht verlieren. Eigentlich sollten wir sie ins Frühchinesisch schicken. Spätestens in fünf Jahren wird das an öffentlichen Schulen ein Thema.

In Teufen wohnen Sie in der Nähe Ihres Ex-Chefs Konrad Hummler?
Ja. Auch der jetzige, Pierin Vincenz, wohnt ganz in der Nähe, in Niederteufen.

Wie tritt man aus dem Schatten Konrad Hummlers?
Wer versucht, jemanden zu kopieren, ist bestenfalls eine gute Kopie. In der schwierigen Phase, in dem sich der Schweizer Finanzplatz befindet, steht die Vergangenheit nicht im Zentrum. Jetzt geht es darum, eigene Akzente zu setzen. Auch wenn wir einiges fortführen, wie die erfolgreiche Anlagepolitik.

Nochmals: Wer sind Sie?
Ich versuche, in Szenarien zu denken, zu überlegen, welche Varianten es gibt. Ich höre zu, ziehe Mitarbeiter, Anlageberater, das Management und die Geschäftsleitung in die Entscheidungsfindung ein. Kenne ich die Stimmungsbilder, fahre ich einen kompromisslosen Kurs und setze ihn durch. Mein Führungsstil ist konsensorientiert, aber ich weiss, wo ich hinwill.

adriankuenzi3Sie entscheiden lieber schnell als gar nicht?
Schnell zu entscheiden, wäre gefährlich. Ich nehme mir die Zeit, die es braucht, zuzuhören – und entscheide dann. Man darf nicht nur darauf achten, was andere machen. Auf ausgetretenen Pfaden wächst kein Gras.

Was macht Notenstein denn anders als die anderen?
Wir sind wahrscheinlich die einzige Schweizer Privatbank unserer Grösse, die keine Niederlassung im Ausland hat. Wir haben 13 Standorte in der Schweiz. Daher sind wir die schweizerischste aller Schweizer Privatbanken. Wir eilen nicht nach Hongkong, China oder Dubai. Das ist nicht nötig, um erfolgreich zu sein. Bei ausländischen Kunden beschränken wir uns auf unsere Nachbarländer sowie je zwei bis drei Länder in Lateinamerika und Osteuropa. Diese Klientel betreuen wird aus der Schweiz heraus. So verwalten wir auch Vermögen russischer Unternehmerfamilien.

Möglicherweise verlangen aber neue Vorschriften, dass Schweizer Banken europäische Kunden nur vor Ort betreuen dürfen, wenn sie über eine Niederlassung im EU-Raum verfügen.
Wir verfolgen diese Diskussion sehr aufmerksam. Es könnte sein, dass wir in Zukunft deswegen ein EU-Standbein haben müssen.

Notenstein gilt als «Sturzgeburt». Wie gehen Ihre Mitarbeiter damit um, dass Sie nun von hemdsärmligen Genossenschaftern kontrolliert werden?
Bisher verliessen uns nur sechs von 150 Kundenberatern. Das überrascht. Die Mitarbeiter sind vom Geschäftsmodell überzeugt, denn der Zusammenschluss von Universal- und Privatbank macht Sinn.

Das sehen etliche Raiffeisen-Genossenschafter anders. Sie sind skeptisch, ob eine noble Privatbank zur Raiffeisen passt.
Ich hoffe, diese Skepsis in den letzten sechs Monaten zerstreut zu haben. Die Diversifikation der Erträge macht für die Raiffeisen-Gruppe Sinn. Sie reduziert die Abhängigkeit vom Zinsgeschäft.

Ein Retailbanker bei Raiffeisen verdient weniger als ein Anlageberater bei der Privatbank Notenstein. Das führt zu Neid.
Die Differenzen werden überzeichnet. Notenstein muss insgesamt ­einen wichtigen Beitrag zum Erfolg der Raiffeisen-Gruppe leisten.

Heisst das: Ihre Kunden erhalten Hypotheken von Raiffeisenbanken? Diese wiederum führen Ihnen vermögendere Kunden zu?
Es ist noch zu früh, dies mit Zahlen belegen zu können. Notenstein vergibt Hypotheken an Privatpersonen für selbst bewohnte Eigenheime. Wir finanzieren aber keine Gewerbeliegenschaften und keine Mehrfamilienhäuser. Wünschen dies Kunden, vermitteln wir sie systematisch an Raiffeisenbanken.

adriankuenzi4Und die bringen Ihnen Kunden?
Auch dazu lässt sich noch nichts ­sagen. Aber ich bin zuversichtlich, in der Schweiz Marktanteile zu ­gewinnen. Wir sind mit unseren 13 Standorten nah bei den Kunden. Das Schweizer Vermögensverwaltungsgeschäft lässt sich nicht nur von Genf und Zürich aus betreiben. Es braucht die geografische Nähe zum Kunden, wie das auch Raiff­eisen bietet.

Planen Sie weitere Filialen?
13 Filialen reichen momentan aus. Wir fahren unsere Kosten nicht hoch. Der Margendruck ist zu gross.

Kritiker halten Ihren Personalbestand von 700 Mitarbeitern zur Verwaltung von 20 Milliarden Franken für viel zu hoch.
Das ist schlichtweg falsch. 350 unserer Beschäftigten arbeiten nicht in Genf oder Zürich, sondern in St. Gallen. Hier sind die Löhne tiefer. Zudem liegt der Altersdurchschnitt bei 38 und nicht bei 58 Jahren.

Dann zahlen Sie weniger als Konkurrenten?
Deshalb ist der Kostenblock tragbar. Wir sind schlank organisiert, haben keine teuren Auslandsfilialen. Die Relation zwischen Kosten und Erträgen beläuft sich daher auf den Branchen-Spitzenwert von 68 Prozent. Dank dieser komfortablen Ausgangslage können wir uns im Oktober eine Marketingkampagne für die Marke Notenstein leisten.

Lohnt sich das? Pierin Vincenz soll Notenstein der Privatbank Vontobel zum Kauf anbieten.
Zu Gerüchten beziehe ich keine Stellung. Vontobel ist ein guter Anbieter von Finanzprodukten. Die Zusammenarbeit mit Raiffeisen ist gut. Es liegt nicht an mir, zu beurteilen, wie es strategisch weitergeht. Für gute Anbieter ist der ­Finanzplatz Schweiz genügend gross. Notenstein hat im ersten Halbjahr einen Bruttogewinn von 32 Millionen Franken abgeliefert.

Der Lohn von Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz darf zwei Millionen Franken nicht übersteigen. Gilt das auch für Sie?
Wir werden im ersten Geschäftsbericht von Notenstein die Löhne der Geschäftsleitung transparent ausweisen. Mein Lohn würde einen solchen Deckel nicht gefährden.

Gefährlich könnte für Sie der Steuerstreit der Bank Wegelin mit den USA werden. Sie zählten zum innersten Führungszirkel. Wir gut ist Ihr Schlaf?
Sehr gut. Im Vorfeld der Übernahme haben wir intensiv über die Sicherheit von Notenstein gesprochen. Unsere Kunden sollten von Beginn an die Gewissheit haben, dass die Probleme gelöst sind. Wir sind eine neue Bank mit einem neuen Eigentümer, ohne US-Kunden.

Und wie sicher sind Sie, nicht in den Fokus der US-Ermittler zu geraten?
Ich persönlich sehe dafür kein einziges Anzeichen. Die entsprechenden Ereignisse liegen bereits mehr als ein halbes Jahr zurück. Ich schaue lieber in die Zukunft.

adriankuenzi5Daher die Gretchenfrage: Reisen Sie derzeit ins Ausland?
In die USA nicht – wie viele andere Schweizer Banker. Aber ich hoffe, dies bleibt nicht ewig so. Mit den USA kommt es stets zu einem Vergleich, auch mit Schweizer Banken. Der Weg dorthin ist zeitaufreibend. Er führt dazu, dass sich das Geschäftsmodell der Banken radikal verändert.

Das gilt vor allem für das Geschäft mit Ihren rund 6000 im Ausland wohnenden Kunden. Ihnen gehören 30 Prozent der von Notenstein verwalteten Gelder. Wie viel ist versteuert?
Das können wir nur schätzen. Ihre Frage verliert an Aktualität, wenn die Abkommen zur Einführung ­einer Abgeltungssteuer in Kraft sind. Dann können die Altlasten bereinigt werden.

Sie verlangen von neuen ausländischen Kunden eine Selbstdeklaration, dass ihre Vermögen versteuert sind. Warum nicht von bisherigen?
Wir möchten den Abkommen nicht vorgreifen. Es besteht die berechtigte Hoffnung, dass sie mit Deutschland, Österreich und Grossbritannien umgesetzt werden können.

Aber Sie reden mit ausländischen Kunden über deren steuerliche Verhältnisse?
Jeder Kunde aus diesen Ländern ist sich bewusst, was es bedeutet, Schwarzgeld zu besitzen. Sie überlegen sich, wie sie dieses legalisieren können. Viele warten noch ab, ob die Abkommen in Kraft treten. Kein Kunde hat ein Interesse da­ran, neues Schwarzgeld in der Schweiz zu parkieren.

Wissen Sie, wie viele Ihrer Kunden bereits eine Selbstanzeige gemacht haben?
Viele begeben sich auf diesen Weg. Wir fordern Kunden auf, das mit Hilfe von Steuerberatern zu tun. Es führt kein Weg daran vorbei, die Vermögen zu versteuern. Das ist der grosse Paradigmenwechsel, der in den letzten Jahren stattgefunden hat.

Wie oft kommt es vor, dass Kunden Ihren Berater fragen, ob bei Notenstein Kundendaten verschwunden sind?
Generell gilt: Die Verunsicherung der Kunden ist gross. Bei uns nicht unbedingt in Bezug auf Daten-CDs. Aber sie fragen sich, ob das Steuerabkommen nun kommt. Leider ist es in Deutschland zum Wahlkampfthema geworden.

In Deutschland sieht es eher nach einem Scheitern aus. Was tun Sie dann?
Es würde eine neue Lagebeurteilung erfordern. Ich hege aber berechtigte Hoffnungen, dass es zum Abschluss kommt. Es brächte Deutschland substanzielle Geldsummen.

adriankuenzi6Was wären die Alternativen?
Das kann Notenstein nicht im Alleingang bestimmen. Dann müsste der Schweizer Finanzplatz ­einen Plan B ausarbeiten.

Liechtensteins Regierungschef Klaus Tschütscher hält den automatischen Informationsaustausch für prüfenswert. Ex-Nationalbankchef Hildebrand sagt, in fünf bis zehn Jahren sei dies der gültige Standard. Zu Recht?
Ich halte dies für wahrscheinlich. Viele Länder arbeiten auf den automatischen Informationsausgleich hin. Er stellt das Abgeltungssteuer-Abkommen nicht in Frage. Dieses hilft, die Altlasten zu bereinigen. Zudem gewinnen Banken, deren Mitarbeiter und Kunden Zeit, um die Umstellung auf versteuerte Gelder zu bewältigen.

Die deutschen Sozialdemokraten trauen uns nicht. Deren Parteivorsitzender, Sigmar Gabriel, bezeichnet Schweizer Banken gar als «kriminelle Organisationen». Wie fühlen Sie sich, wenn man Sie als «Mafioso» bezeichnet?
Betupft, ja fast beleidigt. Aber in der deutschen Politik ist die Rhetorik halt unzimperlicher. Es ist an uns, nun zu beweisen, dass diese Vorwürfe falsch sind. Der Schweizer Finanzplatz ist nicht mehr daran interessiert, unversteuerte Vermögen zu verwalten. Diesbezüglich wird es mit europäischen Ländern keine Probleme mehr gegen. Was gelöst werden muss, ist das Problem mit der Vergangenheit, den unversteuerten Geldern.

Apropos Geld: Was bedeutet ­Ihnen das persönlich?
Geld macht nicht glücklich. Das erlebe ich bei unzähligen Kontakten mit Kunden. Geld sollte Mittel zum Zweck sein, unternehmerisch tätig zu sein. Darüber freuen sich viele vermögende Kunden. Den Kontosaldo anzusehen, ist nur beschränkt befriedigend

Dr. Banker
Notenstein-CEO Adrian Künzi (39) schloss sein Studium der Betriebswirtschaft an der Universität St. Gallen mit dem Doktorat ab. Zudem absolvierte er einen Masterabschluss in Cambridge (GB). Mit 22 Jahren arbeitete er erstmals für die Bank Wegelin, als Assistent von Konrad Hummler. 2001 ging Künzi für zwei Jahre zur Investmentbank Goldman Sachs in Frankfurt (D). Nach seiner Rückkehr zu Wegelin baute er deren Aktivitäten in der Romandie auf und wurde 2007 mit seinem Privatvermögen haftender Partner. Mit seiner Frau Caroline (38) hat er drei Kinder. Seine Gattin lernte er an der Uni St. Gallen kennen. Er «versuche, zwei bis drei Mal die Woche im Wald zu joggen».