Die Schuld tragen ganz klar die Deutschen

Der ehemalige UBS-Präsident Peter Kurer über den Schweizer Finanzplatz nach dem deutschen Nein zum Steuerabkommen – und warum wir Schweizer nicht so wichtig nehmen sollten.

Interview: Peter Hossli Fotos: Gerry Nitsch

Herr Kurer, warum glaubt man Schweizer Banken nicht mehr?
Peter Kurer: Schweizer Banken sind glaubwürdig. Wir haben einen der stärksten und angesehensten Finanzplätze der Welt.

Die Banken betonten, es gebe keine deutschen Abschleicher. «Lüge», sagen SPD-Politiker. Woher rührt solches Misstrauen?
Das sind durchwegs politisch motivierte Aussagen deutscher SPD-Politiker.

Es ist schwierig, 80 Jahre Argwohn gegenüber dem Schweizer Bankgeheimnis zu überwinden.
Wir stehen an einem Wendepunkt. Wir achteten lange nicht darauf, ob bei uns angelegte Gelder ­steuerkonform sind. Das wird nun nicht mehr akzeptiert. In Sachen Steuerkonformität müssen wir den Finanzplatz klar neu positionieren.

Es ist unanständig geworden, ein Schweizer Bankkonto zu haben.
Das stimmt doch nicht.

Mitt Romneys Schweizer Konto war im US-Wahlkampf ein Thema.
Eben, das war im Wahlkampf. Viele Ausländer wollen Konten auf Schweizer Banken. Deshalb verzeichnen unsere Banken Zuflüsse an ausländischem Neugeld – weil die Schweiz als stabiles Land gilt.

Nach dem Nein zum Steuer­abkommen stellt sich die Frage: Ist die Strategie der Abgeltungssteuer gescheitert?
Überhaupt nicht. Es gibt entsprechende Abkommen mit Grossbritannien und Österreich. Italien und Griechenland sollen dem Vernehmen nach an solchen Lösungen interessiert sein. Und andere auch.

Warum scheitert das Abkommen mit Deutschland?
Die Schuld tragen ganz klar die Deutschen. Das Abkommen wurde aus wahltaktischen Überlegungen abgeschossen. Wenn die deutsche Opposition meint, sie müsse ihre Regierung wegen den Wahlen ins offene Messer laufen lassen, ist das nicht das Problem der Schweiz. Unser Bundesrat hat gut verhandelt.

Hätte er nicht mit der Opposition reden müssen? Die Mehrheitsverhältnisse im deutschen Bundesrat waren ja stets klar.
Setzt man sich mit einem Staat an den Verhandlungstisch, tut man das immer mit der Regierung.

Jahrzehntelang sind die Banken dank deutschem Schwarzgeld reich geworden. Was taten sie, um Deutschland umzustimmen?
Viele Banken haben viel getan. So brachten sie grosse Vermögen schon früh in den weissen Bereich.

Deutsche Politiker glauben nicht, dass Schweizer Banken es ernst meinen mit dem Weissgeld.
Das sind rot-grüne Oppositionelle. Weltweit wird allgemein anerkannt, dass die Schweiz das Problem energisch vorantreibt. Einmal abgesehen vom Sonderfall USA gibt es wenig Druck auf uns als Land, die Situation ist viel weniger angespannt, als viele meinen.

Kein Land ist bei der Weissgeld-Strategie weiter als wir. Warum mag uns trotzdem keiner?
Sie irren sich. Lesen Sie einmal ­andere Zeitungen als deutsche. Die Schweiz packt das Problem an, heisst es weltweit. Vernünftige ­Leute wissen: Die gravierende ­Neu­positionierung des Finanzplatzes geht nicht über Nacht.

Wann hört die Polemik gegen die Schweiz denn endlich auf?
Die Polemik ist unsere Innensicht der Aussensicht. Im Ausland sagen die Leute: «Eure Probleme möchten wir haben.» Wir steigern uns in der Schweiz in eine fast hysterische Diskussion. Wir nehmen uns zu wichtig und haben die Fähigkeiten verloren, eine vernünftige Distanz zu solchen Dingen zu haben.

Banken-Kritik kommt oft aus der Schweiz selbst. Warum?
Es ist bedenklich, wenn wir uns aus politischen Gründen wegen ­einer so wichtigen Branche stets zerfleischen und uns keine Gedanken über negativen Auswirkungen ­machen. Das passiert, weil Politiker nonstop Wahlkampf betreiben.

Wenn mit Deutschland kein Abgeltungsvertrag kommt – wie können wir die unversteuerten Altlasten lösen?
Der Finanzplatz braucht drei Dinge. Erstens eine klare Kommuni­kation. Dabei muss klar gesagt werden, dass wir nur noch steuerkonforme Neugelder annehmen und die Altlasten im Laufe der Zeit abarbeiten. Zweitens müssen wir ­internationale Standards wie die OECD-Norm 26 akzeptieren – und unsere Bereitschaft signalisieren, konstruktiv an der Weiterentwicklung dieser internationalen Standards mitzuarbeiten.

Was heisst das genau?
Dass wir an einem System für einen internationalen automatischen Informationsaustausch mitarbeiten. Der dritte Punkt ist der wichtigste von allen: Alle Banken halten sich daran, nur noch steuerkonforme Gelder anzunehmen, und entwickeln Strategien, um Altlasten abzuarbeiten.

Es bestehen überall Zweifel, ob dies wirklich geschieht.
Mir bereitet das ebenfalls am meisten Sorgen. Viele Banken sind hier schon sehr weit fortgeschritten, andere machen da nicht mit. Leider haben noch nicht alle Banken begriffen, wie wichtig das ist.

Das neue Zauberwort ist der automatische Informationsaustausch. Wann ist er Realität?
Vorerst ist der automatische Informationsaustausch nicht mehr als ein Modewort. Niemand weiss genau, was damit gemeint ist und wie er funktionieren soll. Er ist heute kein internationaler Standard – ausser innerhalb der EU, und dort oft nur auf dem Papier.

Die Schweiz ist erneut das erste Land, das sich ernsthaft damit befasst. Was bringt es, immer der Musterknabe zu sein?
Das Dümmste, das man machen könnte, wäre, jetzt den automatischen Informationsaustausch einseitig anzubieten. Wir würden damit unsere Verhandlungsposition schwächen. Aber es war nicht schlecht, dass wir eine Zeit lang als ­Musterknabe vorauseilten. Jetzt können wir die ­Sache ruhiger anpacken.

Muss Eveline Widmer-Schlumpf nun in Brüssel Verhandlungen anbieten?
Auf keinen Fall sollte sie in Brüssel Verhandlungen über einen automatischen Informationsaustausch anbieten. Überlegen kann man sich, ob wir mit der EU über ein ­Finanzdienstleistungsabkommen verhandeln und bereit sein sollen, dabei automatischen Informationsaustausch zu reden.

Gibt es denn Alternativen?
Die Welt bewegt sich zum automatischen Informationsaustausch hin. Wann das funktionieren wird, ist ­offen. Nötig sind hochkomplexe Systeme – oder ein ganz einfaches.

Wir sind bereit, unsere finanzielle Privatsphäre preiszugeben?
Falsch! Wir geben nicht das Bankgeheimnis auf. Wir passen den Austausch von internationalen Informationen an. Das Bankgeheimnis wird als Bankkundengeheimnis zwischen Bankier und Kunden weiter bestehen und in Zukunft vermutlich noch gestärkt, denn auch in anderen Ländern wird der Ruf nach mehr Daten- und Klientenschutz lauter werden.

Überlebt der Schweizer Finanzplatz trotz Weissgeldstrategie?
Da habe ich keine Zweifel. Die Welt wird instabiler. Die Schweiz ist eine Insel der Stabilität, und sie hat eine gute Infrastruktur, um Gelder aufzunehmen und zu verwalten.

Die goldenen Zeiten des Finanzplatzes scheinen vorbei. Die Grossmachtsträume im Investmentbanking sind begraben.
Die Abenteuer im Investmentbanking haben weitgehend ausserhalb der Schweiz stattgefunden. Die Schweiz verwaltet in erster Linie Vermögen. In diesem Bereich wird es zwar auch zu Anpassungen und Arbeitsplatzverlusten kommen – man kann den Pelz nicht waschen, ohne dass er nass wird –, aber das Schweizer Privatbanking wird auch in Zukunft sehr stark und wichtig sein.

Wie viele Banken-Jobs gehen in der Schweiz verloren?
Nimmt man den gesamten Finanzplatz und die angegliederten Bereiche, sind in den nächsten fünf Jahren Jobsverluste von 30000 bis 40000 nicht auszuschliessen.

Kann eine Bank die Risiken des grenzüberschreitenden Geschäfts noch zu einem vernünftigen Preis kontrollieren?
Falls das Schwarzgeld bleibt, ist das Risiko nicht mehr vertretbar. Deshalb muss es verschwinden.

Banker haben es heute schwer. Sind sie schlechtere Menschen?
Sie sind nicht besser oder schlechter als andere Menschen. Zumindest gibt es keine empirischen Beweise dafür. Banker waren in der Weltgeschichte immer unbeliebt, weil jeder früher oder später eine negative Erfahrung mit einem Banker machte. Er erhält die Hypothek nicht, es passiert ein Unfall auf dem Anlagevermögen, die Bank verweigert ihm einen Kredit. Banker war nie ein sehr populärer Beruf.

Banker verdienen viel mehr Geld als andere. Das führt zu Neid.
Diese Schere zwischen Banker-Einkommen und anderen Einkommen korrigiert sich rasch. Die Gehälter der Banker schrumpfen rapide.

Peter Kurer (63) ist eine der schillerndsten Figuren der Schweizer Wirtschaft. Bekannt wurde der Jurist 2001 beim Grounding der Fluggesellschaft Swissair. Damals vertrat er als Anwalt der Kanzlei Homburger Rechts­anwälte die Interessen der UBS. Zwischen 2001 und 2008 war er Chefjurist der Grossbank. Im Anschluss übernahm er das Präsidium des UBS-Verwaltungsrats. In diese Zeit fiel der Höhepunkt des Steuerstreits zwischen UBS und USA. Heute ist Kurer international als Berater tätig.