“Ich will neugierig bleiben wie ein kleines Kind”

Er erzielt Rekordumsätze und spricht Klartext. Nick Hayek geisselt Regeln und huldigt Ideen – und sagt, warum er keine Komplexe hat.

Interview: Peter Hossli und Rolf Cavalli; Fotos: Daniel Kellenberger

Nick Hayek: Guten Tag, stört es Sie, wenn ich meine Zigarre rauche?

Zuletzt rauchte der Ölhändler Marc Rich während eines SonntagsBlick-Interviews eine Zigarre.
Dann höre ich sofort auf. Der Vergleich mit einem Rohstoffhändler gefällt mir nicht besonders.

Uns stört es nicht, wenn Sie rauchen. In welcher Sprache möchten Sie das Interview führen?
Eine andere Sonntagszeitung wollte eines auf Schweizerdeutsch machen. Das ist aber zu kompliziert.

Weil man Schweizerdeutsch nicht wirklich lesen kann?
Vielleicht. Noch schwieriger ist es, Schwiizertüütsch zu schreiben.

Dann publizieren Sie den Swatch-Geschäftsbericht auf Schweizerdeutsch, weil ohnehin keiner Geschäftsberichte liest?
Falsch. Viele lesen ihn. Sogar Journalisten, weil sie immer auf der Suche nach potenziell Brisantem sind – wie die Löhne des Managements.

Mehr als ein kluger Marketing-Gag ist der schweizerdeutsche Geschäftsbericht dennoch nicht.
Wir schämen uns nicht, eine Schweizer Firma zu sein – und dazu eine globale. Der Dialekt gehört zur Schweiz. Er steht für die Vielfalt des Landes und der Swatch Group.

Warum liegt Ihnen die Schweiz so sehr am Herzen?
Sie liegt mir nicht nur am Herzen. Ich lebe hier. Es ist meine Heimat. Die Menschen haben Vertrauen in das, was die Schweiz repräsentiert.

Wofür steht denn das Schweizer Kreuz?
Über die Flagge rede ich nicht, ich spreche über das Land. An meinem Fenster hängt eine Piratenflagge.

Und wofür steht das Land?
Für Vielsprachigkeit, Föderalismus, Toleranz – weil wir Eigenheiten zulassen und als kleines Land nie ein anderes besetzt haben. Wir sind fleissig und zuverlässig, all das schafft Vertrauen.

Sie fürchten nun, die Schweizer Industrie verwässere ihre Produkte.
Kauft jemand etwas mit der Aufschrift «Swiss Made», geht er zu Recht davon aus, dass alles in der Schweiz hergestellt worden ist. Akzeptieren wir faule Kompromisse wie die 50 Prozent, schneiden wir den Ast ab, auf dem wir sitzen.

Für den Grossteil der Schweizer Industrie ist das unmöglich.
Eine Swatch kostet seit dreissig Jahren 50 Franken. Wir stellen sie zu fast 100 Prozent in der Schweiz her. Können wir das, muss das für viele andere Konsumgüter möglich sein. Dass dies bei Investitionsgütern wie Maschinen schwieriger ist, verstehe ich. Diese Güter werden ja nicht von einem Endkonsumenten gekauft. Niemand ist gezwungen, «Swiss Made» auf seine Produkte zu schreiben.

Ist der angepeilte Kompromiss – 60 Prozent Swissness bei Uhren, 50 Prozent beim Rest – sinnvoll?
Eigentlich reichen mir 60 Prozent nicht, ich hätte gerne mehr. Aber der Uhrenverband hat demokratisch entschieden, dass es mindestens 60 Prozent sein sollten.

Dann tritt Ihr Verband nun doch nicht aus Economiesuisse aus?
Vielleicht braucht es die Economiesuisse ja bald nicht mehr. Verbände gibt es schon viel zu viele.

Was haben Sie gegen die Economiesuisse?
Sie wirkt wie eine Elite-Organisation, die nur noch die Sprache der Teppichetagen spricht. Sie sollte sich lieber glaubwürdig und engagiert um den Werkplatz und den Industriestandort kümmern.

Das tut sie nicht?
Nicht genug. Statt Kampagnen mit Werbeagenturen zu führen, sollte sie die Interessen derer vertreten, die in diesem Land Produkte herstellen und verkaufen. Das sind viele Industrie- und Gewerbebetriebe, die fest verankert sind in den verschiedenen Regionen der Schweiz. Zusammen bilden sie einen Pfeiler unseres Wohlstandes.

Dann ist ja doch alles gut?
So lange wir unseren Pragmatismus behalten, schon. Viele Unternehmer, Mitarbeiter und Gewerkschafter wie lokal verankerte Politiker sind nach wie vor sehr pragmatisch und lösen Probleme erfolgreich. Im Moment werden wir überschüttet von dogmatischer Parteipolitik jeder Couleurs – und von immer mehr Zentralismus.

Also versagt die Politik in Bern?
Nicht nur. Das Problem ist überall zu finden. Zu viele Leute meinen, alles müsse zentralistisch mit
neuen Regeln gelöst werden. Das ist eine typische Funktionärs- und keine Unternehmers-Philo-sophie.

Dem Hayek gehört die Wahrheit?
Sicher nicht. Ich bin weder arrogant noch habe ich immer recht. Es geht um die Grundlage unseres Wohlstandes. Dazu kann ich nicht schweigen.

Wie hoch ist der tiefste Lohn der Swatch Group in der Schweiz?
Das ist von Region zu Region ganz verschieden, ohne die Spezialsituation der Grenzgänger liegt er etwas unter 4000 Franken im Monat.

Das sind knapp 45000 Franken im Jahr. Sie verdienen 6,2 Millionen. Käme die 1:12-Initiative durch, müssten Sie allen mindestens 516666 Franken zahlen.
Es ist eine dogmatische Initiative mit starren Forderungen. Mein 1:12-Vorschlag sähe anders aus. Auf zwölf Angestellte sollte in einem Betrieb mindestens ein Lehrling kommen. Das wäre konstruktiv. Die Jungen erhalten Perspektiven – und sie identifizieren sich früh mit einem Unternehmen. Das hilft dem ganzen Werkplatz.

Sie fordern ebenfalls Regeln?
Mein 1:12 ist eine Zielsetzung. Dabei gibt es nur Gewinner, lang- wie kurzfristig. Ich bin überzeugt, dass viele Unternehmer und die Gewerkschaften sofort mitmachen würden, bei den Parteien bin ich mir nicht sicher.

Gerade die Gewerkschaften sind doch sehr dogmatisch.
Das finde ich für den Industrieteil der Gewerkschaften im Vergleich zur SP überhaupt nicht. Nehmen Sie die Initianten der 1:12-Initiative. Anstatt richtige Revoluzzer zu sein mit revolutionären Ideen erscheinen sie mir manchmal eher wie etwas biedere Hausabwarte. Sie wollen gerne kontrollieren, wann man das Licht zu löschen hat und wie laut die Musik ertönen darf. Das alles hat einen sehr
moralhüterischen Ton.

Woher kommen die Angriffe auf Löhne in der Schweiz?
Sie haben ihren Ursprung in der anglophilen Börsen-Shareholder-Kultur. Zuvor haben die Konzerne in Ruhe gearbeitet. Heute ist alles zu vergolden, was dem oftmals kurzfristigen Börsenplatz gefällt. Es ist doch verrückt, Rekordgewinne zu vermelden – und 5000 Leute zu entlassen. Der Börsenkurs geht hoch und das Management zahlt sich 10 bis 20 Millionen Franken Belohnung. Wir müssen wieder darauf achten, dass ein Unternehmen für alle Beteiligten einen Mehrwert schafft, nicht nur für die Aktionäre.

Sie würden die Swatch Group gerne von der Börse wegkaufen.
Leider geht das nicht, ohne uns zu verschulden.

Aber Sie würden es gerne tun?
Ja, es wäre uns lieber. Dann müssten wir nicht alle sechs Monate mit viel Aufwand unsere Zahlen publizieren. Wir konzentrieren uns lieber auf den Verkauf von Uhren.

Sie wollen weniger Transparenz?
Was hat Transparenz denn gebracht? Dass die Löhne steigen. Jeder sieht jetzt, was der andere verdient – und will selber mehr.

Warum sind Sie so streitlustig?
Bin ich nicht. Ich bin emotional.

Sie streiten mit der Börse, mit der Economiesuisse, der UBS, mit Bloomberg und Tiffany.
Wir haben keinen Streit. Wir sind emotional und gradlinig und wir tun dies im Interesse der Firma und Ihrer Angestellten. Wir stehen zu dem, was wir sagen. Dabei sind wir kompromissfreudig und friedfertig.

Ihre Piratenflagge ist nicht gerade ein friedliches Symbol.
Sie besagt nur, dass wir uns nicht jedem Standard beugen wollen. Probleme spreche ich so an, wie mir der Schnabel gewachsen ist.

Kann man rebellisch sein mit 6,2 Millionen Franken Lohn und einem Umsatz von 8 Milliarden?
Es geht mir nicht um den Rebell. Die Piraten-Flagge mahnt mich daran, Regeln nie zu akzeptieren, ohne sie zu hinterfragen, neugierig zu bleiben wie ein kleines Kind, egal, was die anderen darüber denken.

Die Swatch ist 30 Jahre alt. Warum wirkt sie noch immer frisch?
Weil sie nie fertig entwickelt ist, sich immer neu erfindet und wir unermüdlich weiterforschen.

Mit der Swatch rettete Ihr Vater die Uhrenindustrie. Wie sichern Sie ihren Fortbestand?
Indem wir uns bewusst sind, was unsere Stärken sind. Und dass der Kunde der König ist. Wir stellen Uhren her – und zwar in der Schweiz. Wir bleiben innovativ, suchen ständig nach neuen Materialien und Produktionsmethoden. Wir agieren nicht kurzfristig, orientieren uns nicht nach der Börse. Und wir verschulden uns nicht.

Sie wahren den Besitzstand. Was fehlt, ist ein grosser Wurf. Was wird die Swatch von Nick Hayek?
Das brauche ich nicht, ich habe keinen Minderwertigkeitskomplex. Meine Schwester und ich führen die Firma im Geiste unseres Vaters. Es kommt nicht auf eine Person an, sondern auf die Firmenkultur.

Was ist nötig, um etwas so Geniales wie die Swatch zu kreieren?
Hören Sie auf mit dem Wort «genial». Es geht darum, ein Produkt zu schaffen, das vielen gefällt, einen Nutzen hat und das Menschen positiv beeinflusst. Dazu braucht es Mut, Energie, ein sehr kompetentes Team – und natürlich Glück.

Das erinnert an das Konzept von Apple-Gründer Steve Jobs. Apple entwickelt jetzt eine SmartWatch, ein iPhone fürs Handgelenk. Das bedroht Swatch.
Falsch, ich finde das super und sage zu Apple: «Welcome!» Wann immer grosse Firmen die Uhrenbranche entdecken, ist das unser Vorteil. Es macht Uhren attraktiver.

Hat jeder ein iPhone statt eine Swatch am Handgelenk, können Sie doch bald dichtmachen.
Ich bin überzeugt, der Uhrenmarkt wächst weiter. Einst hiess es, das Mobiltelefon verdränge die Uhr, weil es die Zeit anzeige. Das Gegenteil passierte. Menschen sind dank Handys mobiler geworden und kaufen mehr mechanische Uhren, ohne jegliche Elektronik. Obwohl sie täglich vielleicht eine Minute nachgehen, die teuersten sogar zwei.

Apple und Swatch passen zusammen. Gibt es Pläne?
Ich kann mir vieles vorstellen, aber wir brauchen Apple nicht.

Apple ist technologisch ein Treiber.
Wir kennen Apple gut. Apple-Leute kommen oft zu uns, um zu sehen, mit welchen Materialien wir arbeiten, wie wir Produkte verkleben, wie unsere Batterien funktionieren, wie wir mit Energie umgehen.

Lernt Apple von Swatch?
Ja. Schon vor Jahrzehnten kam Tissot mit einem Touchscreen auf den Markt. Bis heute ist die Swatch die einzige Uhr mit einem gekrümmten Touchscreen aus Plastik. Wir haben mit Renata eine der weltbesten Batteriefabriken.

Wann erreichen Sie Ihr Ziel, zehn Milliarden Umsatz zu machen?
Das war nie mein Ziel. Ich habe jeweils gesagt, wir können allein mit internem Wachstum zehn Milliarden Franken Umsatz erreichen. Damit wollte ich das grosse Potenzial der Gruppe aufzeigen.

Wann sind Sie so weit?
Vielleicht in zwei oder drei Jahren. Ein primäres Ziel ist es nicht. Mir ist es wichtiger, in der Schweiz zu wachsen, Arbeitsplätze und Lehrstellen zu schaffen und zufriedene Kunden zu haben. Was ist Ihr Ziel für die Auflage Ihrer Zeitung?

Uns ist es wichtig, gute Geschichten im Blatt zu haben.
Das ist wie bei uns. Stellen wir gute Produkte her, steigen die Umsätze automatisch. Die Leute bei Swatch Group sind kreativ genug, um 10 Milliarden Umsatz zu erzielen.

Müssten Sie Ihr Sortiment nicht um Mode und Parfum erweitern?
Sind Sie wahnsinnig? Brand-Extension ist sehr gefährlich. Das würde unseren Marken eher schaden. Das Potenzial des Uhrenmarktes ist noch längst nicht ausgeschöpft. Es gibt viele Menschen ohne Uhr. Andere kaufen mehrere Uhren, verschenken sie, wechseln sie für Sport, Arbeit, den Ausgang.

Jetzt bedroht eine Vogelgrippe in Asien das China-Geschäft.
Gefahren gehören zum Leben. Aber ich sehe mehr die Chancen. Wer kurzfristig denkt, sieht nur Gefahren. Und wer Zeitungen liest, könnte ohnehin denken, das Leben bestehe nur aus Katastrophen.

Russische Oligarchen sollen die Uhrenbranche missbrauchen, um Gelder zu waschen. Stimmt das?
Oligarchen, die ich sehe, tragen ihre Uhren am Arm, wie ihre Frauen auch. Mehr weiss ich über ihre Gewohnheiten nicht.

In Zürich, Lugano oder in St. Moritz steht neben jeder Bank ein Uhrengeschäft. Aus Schwarzgeld wird so schnell eine teure Uhr.
Soll ich etwa kontrollieren, woher das Geld kommt, mit dem jemand eine Uhr für 50, 100, 1000 oder 5000 Franken kauft? Möchten Sie, dass wir das tun müssen?

Der Bundesrat will Barzahlungen über 100000 Franken verbieten. Das trifft die Uhrenbranche.
Es passiert selten, dass jemand mit einem Koffer Bargeld eine Uhr kauft. Bei hohen Preisen und bei Bargeld sind wir sehr vorsichtig.

Seit Jahren klagt die Industrie über die Folgen des starken Frankens. Passiert ist wenig.
Sie verharmlosen die Situation.

Swatch ist erfolgreich und schafft Arbeitsplätze.
Wir sind eine Ausnahme, auch wegen «Swiss Made». Wir sind finanzstark und nicht verschuldet. Wir können es uns leisten, eine Zeit lang in gewissen Ländern kein Geld zu verdienen. Aber der starke Franken schadet, vor allem dem Tourismus, vielen kleinen, mittleren und Grossunternehmen.

Wie lange soll die Nationalbank 1.20 Franken zum Euro halten?
Es ist nicht gut, wenn wir bei 1.20 bleiben. Wir müssen wieder auf ein normales Verhältnis kommen – das wir früher hatten: 1.35, 1.40.

Ihr Vater sagte einmal, Ihre Schwester Nayla sei besser qualifiziert als Sie. Warum sind Sie Chef und Nayla VR-Präsidentin?
Wir ergänzen uns wunderbar. Sie ist die beste VR-Präsidentin, die ich mir vorstellen kann. Und ich bin für sie sicher der beste Konzernchef.

Könnte denn ein Aussenstehender die Swatch Group führen?
Alles ist möglich. Die Firmenkultur aber darf sich nicht ändern. Als ich 2003 CEO wurde, gab es darum keinerlei Aufsehen. Als mein Vater Ende Juni 2010 im Büro starb, verlor die Firma ihren Leader. Es gab keine Unruhe. Jeder war traurig, aber keiner hatte Angst um seine Zukunft. In drei Tagen präsentierten wir die neue VR-Präsidentin. Nur die Börsenaufsicht meckerte.

Wie bitte?
Sie beschwerte sich, wir hätten den Tod meines Vaters nicht zu börsenrelevanten Zeiten kommuniziert. Mit einem ironischen, bösen Brief entschuldigte ich mich dafür, dass mein Vater sich nicht börsenkonform verabschiedet hat.