Warum hört niemand auf diesen Arzt?

Herzchirurg Paul Vogt hat eine sichere Methode gegen Wundinfektionen entwickelt, die Leben rettet.  Schweizer Kollegen ignorieren sie – wegen Neid und Profitdenken.

Text: Peter Hossli und Fibo Deutsch; Fotos: Sabine Wunderlin

dora_buelerUm zu überleben, blieb nur das Skalpell. Dora Büeler-Rich­heimer liess sich im Juli 2012 am Herz operieren. Chirurgen des Universitätsspitals Zürich ersetzten eine ihrer vier Herzklappen, reparierten eine andere. Zudem legten sie ihr zwei Bypässe. Der Befund nach dem Eingriff: Alles ging gut.

Heute ist Dora Büeler (68) «sehr wütend», ihr Körper überzogen von tiefen Spuren einer Tortur, der Rücken vernarbt, das Gewebe labil. Schmerz trübt ihr Dasein.

Bakterien haben sie beinahe getötet. 90 Tage nach der vermeintlich erfolgreichen Herzoperation floss plötzlich Eiter aus der Narbe. Just wies ihr Hausarzt sie in die Zürcher Klinik Im Park ein. Der jetzige Befund: Ein schlimmer Infekt mit kompletter Zerstörung des Brustbeins.

Während der Operation im Unispital hatten sich Er­reger freigesetzt. Wie Schläfer vor einem heimtückischen Angriff harrten sie drei Monate unbemerkt. Bis sie loslegten. Als Herzchirurg Paul Vogt (56) die Wunde öffnete, spritzte Eiter raus. Entlang der Narbe war das Gewebe völlig zerstört.

Zwanzig Mal musste Büeler wegen der Komplikationen unters Messer, zuletzt im Februar 2013. Die Kosten ihrer Behandlung stiegen von ursprünglich 150 000 Franken auf eine halbe Million.

paul_vogtNötig sei all das nicht gewesen, sagt Vogt, ihr Arzt. «Infekte in der Herzchirurgie lassen sich vermeiden.» Er steht im Operationssaal der zum Hirslanden-Konzern gehörenden Klinik, trägt hygienische Kleider, Mund- und Augenschutz – und erhebt schwere Vorwürfe gegen die eigene Zunft. «Schweizer Ärzte und Spitäler sind nicht an Infektprävention interessiert.» Und: «Um den Umsatz zu steigern, nehmen sie letztlich Tote in Kauf.»

Sein Kollege von der Klinik Im Park, der Herzchirurg Pascal Berdat, sagt es noch deutlicher: «Die heu­tige Medizin erlaubt es, buchstäblich über Leichen zu gehen.» Es gebe keinerlei externe Qualitätskontrollen.

Seit Jahren ist Vogt geradezu besessen davon, Bakterien vom Operationssaal fernzuhalten. Was ihm lange nicht gelang. Knapp fünf Prozent seiner Patienten erlitten Wundinfekte. Dabei wusch er sich die Hände, desinfizierte das Besteck, baute sogar den OP-Saal um. Nichts nützte. Kaum setzte er das Messer an, wimmelte es in den offenen Wunden von Bazillen.

Der clevere Einfall eines deutschen Mikrobiologen änderte dies. Mit dem Skalpell, erkannte er, durchtrennen Herzchirurgen jeweils Haarwurzeln unter der Haut. Das setzt Erreger frei, die Gewebe und Blut verunreinigen können.

Seither wendet Vogt während Operationen stets direkt in der Wunde Antibiotika an. Bestechende Resultate zeitigt die «an sich simple Methode», so Vogt. Seit Oktober 2009 hat seine Herzabteilung keinen einzigen Infekt verzeichnet. Rund 50 Millionen Franken könnten Krankenkassen sparen, würden alle Schweizer Herzchirurgen wie er arbeiten. Zudem liessen sich Dutzende Todesfälle vermeiden.

Herzkliniken im Ausland haben dies erkannt. Ärzte in den USA und Frankreich, Deutschland und Russland gehen vor wie Vogt. Sie weisen geringere Infektraten auf als die meisten Schweizer Spitäler.

Auf heftigen Widerstand stösst Vogt in der Schweiz. Am Zürcher Spital Triemli hielt er einen Vortrag, Und fand keine Nachahmer. «Wir halten uns an internationale Standards», sagt Michele Genoni, Chefarzt für Herzchirurgie am Triemli. «Wir konnten die Infektraten ohne Vogts Methode stark reduzieren.» Die Nullrate sei «kaum machbar».

Die Aarauer Hirslanden-Klinik schmetterte Vogts Massnahme ab. Wie Säure wirke sein Antibiotikum. Deshalb halte sich die Klinik «an international gültige Antibiotika-Standards», sagt Hirslanden-Sprecher Konradin Krieger. Zumindest bis Vogt seine Methoden wissenschaftlich publiziert habe.

Bereits vor drei Jahren stellte Vogt dem Zürcher Universitäts­spital (USZ) seine Methode vor – erfolglos. «Die Prävention von Wundinfektionen geschieht am USZ gemäss internationalen evidenzbasierten Standards», sagt Sprecher Gregor Lüthy. «Wir arbeiten ständig daran, die Infektrate noch weiter zu senken.»

Hinter der ablehnenden Haltung in der Schweiz sieht Vogt vor allem Profitdenken der Ärzte und Kliniken. «Und eine viel zu passive Haltung», so der Arzt. «Spitäler nehmen hohe Infektraten einfach hin.» Zumal sie wissen: «Je komplizierter der Verlauf, je mehr Massnahmen nötig sind, je öfter ein Patient in den OP-Saal muss, desto höher sind die Einnahmen.» In Privatkliniken bedeute dies: «Desto höher sind die Einnahmen des behandelnden Arztes.»

So gebe es keine teurere und gefährlichere Komplikation bei Herzoperationen als tiefe Wundinfekte beim Brustbein. «Bei Patienten mit Zusatzversicherungen verdienen Ärzte in Privatkliniken mehr, wenn sie nicht sauber arbeiten.» Andersherum gehe es nicht. «Es ist im ganzen Gesundheitswesen unmöglich, durch Qualität mehr zu verdienen.»

Weitverbreitet seien zudem «Neid und Missgunst», sagt Vogt. «Was bei einem Arzt nicht von ihm kommt, kann nie gut sein», beschreibt er die Haltung vieler Mediziner. Komme ein Vorstoss von der kleinsten Herzchirurgie in Zürich, stosse das just auf Ablehnung. «Das Klima unserer Gilde ist so vergiftet, dass selbst eine gute Idee vorsätzlich ignoriert wird.»

Als «interessanten Ansatz» beschreibt der bekannteste Schweizer Herzchirurg, Thierry Carrel vom Berner Inselspital, die Massnahmen Vogts. «Allerdings darf aus diesem Einzelfall einer klei-nen Klinik keine allgemeingültige Schlussfolgerung gezogen werden.» Zudem würden in den öffentlichen Spitälern viel mehr schwierige Patienten behandelt als in Privatkliniken, «was mit mehr Risiken verbunden ist». Vogt kontert: «In den russischen Grossspitälern, welche mit meiner Stiftung EurAsia Heart Foundation zusammenarbeiten, hat meine Methode die Infektrate auf 0,4 Prozent gesenkt.»

Als abgeschlossen betrachtete das Universitätsspital Zürich den Fall von Dora Büeler-Richheimer, als bei ihr Eiter aus der Narbe quoll. Zumal sie ja gesund nach Hause ging. Die Hälfte aller Wundinfekte aber tritt erst nach dem Verlassen des Spitals auf. «Enttäuscht» ist die Patientin vom Unispital, weil sich niemand bei ihr erkundigte. «Warum nimmt ein Chirurg, dem eine komplizierte Operation gelingt, Wundinfekte einfach so in Kauf?»

Anfänglich wollte sie die Verantwortlichen verklagen. Zuletzt fehlte ihr dazu die Kraft. Zu gering seien zudem die Erfolgsaussichten.

Nun will Büeler aufklären. «Jede, die durch die gleiche Hölle muss, ist eine zu viel.» Sie verlangt striktere Qualitätskontrollen. Doch erst ab 2015 will das Bundesamt für ­Gesundheit national gegen Wundinfekte vorgehen. Obwohl die Schweiz im weltweiten Vergleich nicht etwa glänzend dasteht.

Nur finanzielle Anreize könnten das ändern, glaubt Vogt. «Spitäler mit tiefen Infektraten sollten Geld von jenen mit hoher erhalten.»

Sicher, auch er werde wieder einmal einen Infekt haben. «Aber eine Wundinfektion sollte eine seltene Ausnahme und nicht ein ständiger Begleiter operativer Eingriffe sein.»

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