Bewerbungsfahrt in Orange

Züri-Tour mit Stapi-Kandidat Filippo Leutenegger. Wie will er die grösste Schweizer Stadt verändern?

Von Peter Hossli (Text) und Philippe Rossier (Fotos)

filippo1Filippo Leutenegger sieht die Lücke, zieht am Gas und lenkt die orange Vespa vorbei an der Autokolonne. «In Zürich kommst du am schnellsten auf zwei Rädern voran», sagt der FDP-Nationalrat. Alle zwei Jahre kaufe er sich eine neue Vespa. Die alten Roller gebe er den Söhnen weiter, sagt der Vater von fünf Kindern.

Der ehemalige Chefredaktor des Schweizer Fernsehens und «Arena»-Moderator ist am 9. Februar Kandidat für den Zürcher Stadtrat – und möchte die amtierende Stadtpräsidentin Corine Mauch (53) aus dem Amt drängen. Alles hätte er erreicht, sei finanziell unabhängig, habe «eine wunderbare Familie», sagt Leutenegger. «Jetzt will ich mich für die anderen engagieren.»

BLICK begleitete den Vespa-Fahrer durch Zürich – und befragte ihn zu elf umstrittenen Themen in der grössten Stadt der Schweiz.

Hort-Notstand
«Das heutige Hort-System ist ineffizient und geht an den Bedürfnissen der Eltern und Kinder vorbei. Es verursacht ein Defizit von 100 Millionen Franken und stammt aus einer Zeit, als nur wenige Mütter arbeiteten. Heute brauchen viel mehr Eltern Betreuung für ihre Kinder. Deshalb sollten wir alle Horte schliessen und Tagesschulen einführen. Ein gesundes Mittag­essen muss nicht mehr als 7 bis 8 Franken kosten. Es ist sinnlos, wenn Kinder nach Schulschluss in ein anderes Gebäude in den Hort gehen und dort ihre Hausaufgaben machen. Sie können das genauso gut in der Schule tun. Es braucht in Zürich nicht für alles Luxuslösungen.»

Städtische Wohnungen
«Es ist nicht richtig, dass gut verdienende und wohlhabende Personen in günstigen städtischen Wohnungen leben. Wer viel verdient, soll mehr zahlen. Wohnt eine einzelne Person in einer grossen Familienwohnung, muss sie einer Familie weichen. Zürich braucht mehr innere Verdichtung. Wenn wir in Quartieren, die an den öffentlichen Verkehr angebunden sind, nur ein einziges Stockwerk höher bauen dürften, erhalten wir 4000 bis 5000 zusätzliche Wohnungen.»

filippo_vespaSicherheit
«Nach einem Fussball-Spiel geriet ich in eine gefährliche Situation. Schläger drohten mich zu verprügeln. Ich bin glimpflich davongekommen, weil Passanten sich einmischten. Die Polizei fuhr einfach vorbei – sie haben vom Auto aus nichts gesehen. Polizisten sollen öfter ihr Auto verlassen und zu Fuss durch die Stadt gehen. Das bringt Bürgernähe und erhöht die Sicherheit. Zudem braucht es Videoüberwachung mit Augenmass. An Hotspots braucht es mehr Kameras, damit bei Gewaltakten die Täter identifiziert werden.»

Wirtschaftsstandort
«Zürich muss für in- und ausländische Firmen attraktiv bleiben. Diese brauchen gut ausgebildetes Personal, räumliche Entwicklungsmöglichkeiten und eine flexible Verwaltung. Die Zürcher Firmen müssen wissen, ob die Stadtfinanzen und Steuern stabil sind. Eine unsichere Finanzlage verunsichert Konzerne – und hält sie von Zürich fern.»

Kultur
«Beim Museum Strauhof ist einiges schiefgelaufen, wenn alle Literaturliebhaber gegen eine Schliessung sind. Die Stadt Zürich kann sich ein grosses Kulturbudget nur leisten, solange die Finanzen gesund sind. Bei der Filmförderung gibt es noch Nachholbedarf. Generell muss Eigenleistung mehr honoriert werden. Das Theater Rigiblick und das Theater am Neumarkt ziehen gleich viele Zuschauer an. Der Rigiblick erhält 400 000 Franken, das Neumarkt mehr als vier Millionen. Etwas stimmt da nicht.»

filipp2Finanzbranche
«Zürich ist das Finanzzentrum der Schweiz. Die Stadt soll sich in Bern für Banken und Versicherungen einsetzen. Wir sollten aufhören, den Finanzplatz ständig als unmoralisch zu geisseln. Banken zahlen hohe Löhne, das bringt Steuereinnahmen. Ist die Beziehung zu den Banken positiv, können wir Exzesse wie die von Credit-Suisse-CEO Brady Dougan kritisieren.»

Hafenkran
«Es ist ein typisches Luxusprojekt, das viele Leute wütend macht, weil Geld aus dem Fenster geworfen wird. Es gibt auch im Kunstbereich geniale und weniger teure Angebote. Dafür ist es nicht nötig, extra einen Kran aus Rotterdam zu holen.»

Integration
«Auch in Zürich gibt es mit Ausländern Integrationsprobleme – der Familiennachzug aus Drittstaaten bereitet Sorgen, da viele von ihnen im Sozialsystem landen. Wir haben viele Leute eingebürgert, um sie zu integrieren. Dabei sollten wir Zuwanderer zuerst integrieren, und sie erst dann einbürgern. Es darf keine Ghettoisierung geben.»

Verrichtungsboxen
«Damit habe ich mich nicht beschäftigt.»

filipp3Fussball
«Das 230-Millionen-Franken-Projekt beim Hardturm war überdimensioniert. Solche Projekte haben künftig wohl keine Chance mehr. Die Zürcher wollen zwar ein Stadion, aber eines, bei dem die öffentliche Hand keine Defizite übernehmen muss. Es braucht eine private Initiative. Die beiden Zürcher Fussballs-Clubs müssen nicht fusionieren, die Grasshoppers und der FC Zürich sollen gemeinsam ein Projekt bringen, das machbar ist.»

Verkehr
«Dank Umfahrungen gibt es 20 Prozent weniger Verkehr in der Stadt – und trotzdem stauen sich Autos. Tempo 30 und Velowege dürfen die Durchfahrts-Achsen nicht verlangsamen. Sie müssen flüssig bleiben. Ich bin für den Masterplan Velo. Wenn wir aber Velo, Auto und Tram auf die
gleiche enge Strasse legen, verursacht das Staus. 40 Prozent der öV-Behinderungen kommen vom Langsamverkehr. Der öffentliche Verkehr ist zu langsam, wir müssen ihn beschleunigen. Der jährliche Abbau von 100 bis 200 Parkplätzen in den Quartieren schadet dem Gewerbe. Die Leute gehen dann halt nach Spreitenbach einkaufen.»