“Wir kennen diese Soldaten nicht”

Russland-Botschafter Alexander Golovin über die Krim-Krise, das getrübte Verhältnis zur Schweiz – und die Geistersoldaten in der Ukraine.

Interview: Peter Hossli Fotos: Sabine Wunderlin

golovin_aufmacherGediegen ruht die Berner Villa der russischen Botschaft hinter ihrem stählernen Zaun. Hausherr Alexander Golovin lädt in den Salon. «Tee oder Kaffee?», fragt der Botschafter in perfektem Deutsch, serviert Guetsli dazu. Golovin gehört zum deutschsprachigen Flügel des russischen Aussenministeriums. «Ich habe in der BRD und der DDR gelebt», sagt er. Seit zwei Jahren ist er Botschafter in Bern. Dieses Jahr sei «speziell»: Russland und die Schweiz feiern 200 Jahre diplomatische Beziehungen.

Herr Botschafter, wie gut ist das Verhältnis zwischen der Schweiz und Russland?
Alexander Golovin: Es ist ausgezeichnet! Wir arbeiten auf fast allen Gebieten eng zusammen: wirtschaftlich, kulturell, politisch, sogar militärisch.

Wirklich? Bundesrat Maurer sagte diese Woche einen dreiwöchigen Kurs für russische Gebirgsgrenadiere in Andermatt ab. Für Russland ein Affront!
Handelt es sich tatsächlich um eine Bestrafung Russlands, verstehe ich das nicht. In Andermatt werden Soldaten für die Rettung ausgebildet, nicht für Kriegseinsätze.

Wie reagieren Sie auf die Bestrafung?
Die militärische Ausbildung basiert auf einem beidseitigen Abkommen. Wir schicken zweimal jährlich 40 Soldaten nach Andermatt. Zudem studiert ein Schweizer Offizier an der Generalstabsakademie in Moskau. Bricht die Schweiz diesen Vertrag, muss der Schweizer Offizier Moskau verlassen. Der Kurs ist ja nicht abgesagt, nur verschoben.

Die neutrale Schweiz kann nicht mit einem Land zusammenarbeiten, das militärisch aggressiv ist.
Russland ist nicht aggressiv. Das behaupten nur westliche Politiker.

golovin1Der Kreml hat russische Truppen auf die Krim verlegt!
Alle militärischen Bewegungen auf der Krim geschehen im Rahmen eines Abkommens zwischen Russland und der Ukraine über die Schwarzmeerflotte, die vor Sewastopol auf der Krim ankert.

Fakt ist: Tausende russischer Soldaten ohne Abzeichen haben ukrainische Krim-Kasernen umstellt. Das ist eine Besetzung.
Zeigen Sie mir Beweise, dass es sich  um russische Soldaten handelt!

Zu wem gehören sie sonst?
Wir kennen diese Soldaten nicht. Russland darf 25000 Mann auf der Krim stationieren. Sie sind dort, wo sie sein dürfen: In der Umgebung des Seehafens in Sewastopol.

Nochmals: Wer sind die Soldaten, die auf der Krim ukrainische Stellungen besetzen?
Sie gehören nicht den russischen Streitkräften an. Die russische Armee hat auf der Krim eine einzige Aufgabe: Schiffe und Anlagen der Schwarzmeerflotte zu schützen.

Das kann sich ändern. Das russische Parlament erlaubt nun ­einen Militäreinsatz auf der Krim.
Falls es nötig wird, darf Präsident Putin reguläre Truppen zur Verteidigung auf die Krim schicken. Aber bisher hat er das nicht getan, und ich hoffe, die Lage wird ihn nicht dazu zwingen.

Damit greift Russland in die territoriale Souveränität der Ukraine ein. Das ist widerrechtlich!
Russland hat keine territorialen Ansprüche in der Ukraine. Die Krim ist Teil der Ukraine. Das bestreiten wir nicht. Es liegt an der Krim-Bevölkerung zu bestimmen, zu wem sie künftig gehören wollen.

golovin3Die neue Regierung in Kiew will die Krim keinesfalls preisgeben.
Die jetzige Regierung der Ukraine – der neue Machthaber in Kiew – ist nicht legitim. Die Leute auf dem Maidan-Platz haben verfassungswidrig die Macht ergriffen.

Das mag sein. Warum muss sich Russland da einmischen?
Russland mischt sich nicht ein. Wo gibt es denn Beweise für eine russische Einmischung? Sprechen wir lieber über die Einmischung der USA und der Europäischen Union, als die Frage des Assoziierungsabkommens zur Diskussion stand.

Weder die USA noch die EU entsenden Truppen in die Ukraine.
Wir tun das auch nicht. Die Truppen, die dort sind, dürfen dort sein.

Europäer und Amerikaner sehen den russischen Aufmarsch auf der Krim als klare Provokation.
Es gibt keinen russischen Aufmarsch. Das, was auf der Kriminsel passiert, ist die Folge von Ereignissen in Kiew. Nachdem sich der legitime ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch weigerte, ein Assozierungsabkommen mit der EU zu unterschreiben, flammten in Kiew Proteste auf, die in Strassenschlachten mündeten. Die Machthaber vom Maidan haben die Macht in Kiew. Die EU will diese Macht jetzt rechtskräftig machen.

Die Ukraine rückt näher an die EU. Hat Russland Angst, seinen Einfluss zu verlieren?
Etwas müssen Sie wissen: Unsere Landsleute haben in Leningrad 872 Tage faschistischer Blockade überlebt. Wir haben keine Angst.

Der Westen fürchtet einen neuen Kalten Krieg. Hat er begonnen?
Es gibt keinen Rückfall in den Kalten Krieg. Damals standen sich zwei militärische, ideologische und politische Blöcke gegenüber – die Sowjetunion und der Warschauer Pakt im Osten und die Nato und die USA im Westen. Heute gibt es keinen östlichen Block mehr. Russland ist ein demokratisches Land. Die EU, die Schweiz und die USA sind unsere Partner.

golovin_hossliAuslöser der Krise war der Wunsch nach mehr Demokratie in der Ukraine. Fürchtet Russland ähnliche Bestrebungen?
Keineswegs. Sicher, Janukowitsch hat vieles falsch gemacht. Es gab Unbehagen in der Bevölkerung. Aber es hätte demokratische Wege gegeben, solche Krisen zu meistern. Gewalt und der Sturz des Präsidenten wären unnötig gewesen.

Wie kann ein Blutvergiessen in der Ukraine verhindert werden?
Indem die illegitimen Machthaber in Kiew ihre Freischärler zurückpfeifen – nicht nur auf der Krim, sondern in der gesamten Ukraine.

Russland trägt dazu nichts bei?
Russland hat schon viel getan, damit kein Blut fliesst. Obwohl der legitime ukrainische Präsident Janukowitsch unseren Präsidenten gebeten hat, Truppen zu schicken, verzichtete Putin darauf.

Warum reagiert Russland stets so gekränkt auf westliche Kritik?
Oft versteht uns der Westen nicht. Gekränkt sind wir aber nicht, wir haben uns an Kritik gewöhnt. Journalisten wollen uns als Feinde zeichnen. Dabei ist das ein Irrtum. Von Russland geht keine Gefahr aus.

Von wem denn sonst?
Von Terroristen, welche die Demokratie mit Gewalt zerstören wollen.

golovin2Warum liess Putin in jüngster Zeit Kritiker wie Pussy Riot oder Michail Chodorkowski frei?
Weil er das Recht dazu hat. Ab und zu kann er solche Amnestien erlassen. Die letzte galt nicht speziell Pussy Riot oder Chodorkowski – sondern allen, die nicht wirklich schwere Verbrechen verübten.

Chodorkowski lebt in der Schweiz. Wie kümmern Sie sich um diesen russischen Bürger?
Genau, wie ich mich um jeden anderen Einwohner der Schweiz mit russischem Pass kümmere.

Chodorkowski kritisiert den Kreml. Ist es ein Problem für Sie, wenn er sich in der Schweiz niederlässt – und hier politisiert?
Er sass ja nicht im Gefängnis, weil er Putin kritisierte, sondern wegen seiner Straftaten rund um seine Geschäfte. Politische Tätigkeit wird in Russland nicht verfolgt. Unsere Gerichte entscheiden nach der Gesetzgebung Russlands.

Das Interview fand am Donnerstag statt. Danach sagte Bundesrat Alain Berset (41) seinen Besuch an den Paralympics in Sotschi ab. Dazu wollte Botschafter Golovin nicht mehr Stellung nehmen.