“Ich will, dass dieser Krieg aufhört!”

Eine Hysterie um Sex und Politik hat die Schweiz erfasst. Es ist wohl Zeit für etwas Besonnenheit.

Von Peter Hossli

Seit einer Woche überdreht die Schweiz. Seit bekannt ist: Der Grünen-Nationalrat Geri Müller (53) hatte mit der Studentin N. W.* (33) Nacktfotos ausgetauscht.

Erschüttert sind die Bewohner der Stadt Baden AG. Ihr steht Müller als Stadtammann vor. Einige der intimen Fotos nahm er im Stadthaus auf und verschickte sie von dort aus per Mobiltelefon.

Der Stadtrat hat ihn von seinen Aufgaben suspendiert. Badener wundern sich, wie der linke Müller Bürgermeister der bürgerlichen Stadt werden konnte.

Die Schweizer Grünen stecken den Kopf in den Sand. An ihrer Delegiertenversammlung tun sie, als sei nichts passiert.

Ein Linker aus Baden sagt: Müller sei vor allem ein politischer Selbstvermarkter. Sein Leistungsausweis: «Der ist sehr dünn.»

Müller ist abgetaucht, «irgendwo in der Schweiz», sagt sein Anwalt. Er sei «zurzeit krankgeschrieben und kann keine Interviews geben». Der Anwalt: «Ich bitte um Verständnis.»

Bei SonntagsBlick trifft eine E-Mail ein. Ein Frank Müller will – gegen Geld – verraten, wo Geri Müller ist. «Der Meistbietende gewinnt», so der E-Mail-Schreiber. Als ob ein Kopfgeld auf den Nationalrat ausgesetzt wäre.

Ohne zu zahlen, weiss SonntagsBlick: Geri Müller hält sich bei einem Bekannten in der Innerschweiz auf. Er ruht sich aus.

Ruhe will auch N. W. (33): «Ich habe keine Kraft mehr», sagt sie zu SonntagsBlick. «Ich möchte nur noch, dass dieser Krieg aufhört und ich mal schlafen kann.» Und doch veröffentlichte sie auf Facebook frei zugänglich farbige Fotos von sich.

Mürbe und müde ist sie wegen einer verworrenen Geschichte. Wie meist geht es um eine Frau und einen Mann. Ihr wird eine labile Psyche nachgesagt, ihm Schmuddeligkeit. Sie leide an einem Borderline-Syndrom, heisst es. Der dreifache Vater Geri Müller hingegen sei ein Filou, gehe leichtfertig mit Treue um.

Ihr fehlte das soziale Umfeld, ihm Mass und Anstand. Sie suchte Nähe, er den sexuellen Kitzel.

Der PR-Berater
Bis es ihm zu viel wird. Minütlich fast habe sie ihm zuletzt SMS-Nachrichten geschickt, heisst es. Er geht im vergangenen April auf Distanz. Sie ist gekränkt, sucht einen Feind Müllers – und findet den PR-Berater Sacha Wigdorovits. Sie zeigt ihm die pikanten Nachrichten. Er rät ihr, einen Anwalt zu nehmen. Nicht ganz geklärt ist, wie aktiv Wigdorovits die Medien bediente. Ob er N. W. Kontakte zu Schweizer Chefredaktoren vermittelte.

Fakt ist: Die Geschichte geistert bereits seit Monaten auf Schweizer Redaktionen herum. BLICK hatte sie, «Die Weltwoche», die «SonntagsZeitung». Alle publizierten sie nicht – wohl, weil der Austausch sexueller Bilder unter Erwachsenen letztlich eine Privatsache ist.

Was stimmt: PR-Mann Wigdorovits verabscheut Geri Müller, insbesondere wegen dessen Pro-Palästina-Politik. So lud Müller Vertreter der Terror-Organisation Hamas ins Bundeshaus ein.

Wigdorovits ist Mitgründer und Stiftungsrat der Audiatur-Stiftung. Sie setzt sich für die Anliegen Israels ein. Seit Jahren kritisiert Audiatur auf ihrer Website Nationalrat Müller scharf.

Zu SonntagsBlick sagt Wigdorovits (62), er werde bedroht. «Bei mir sind Morddrohungen eingegangen.» Er werde Anzeige gegen unbekannt erstatten.

Vor Wochenfrist druckte die «Schweiz am Sonntag» die Geschichte – nachdem es in Baden wegen N. W. zu einem Polizeieinsatz gekommen war. Rasch entstand der schlimme Verdacht, Müller hätte sein Amt als Ammann missbraucht und N. W. genötigt. Beides scheint vom Tisch zu sein.

«Für Geri Müller ist das eine extrem schwierige Situation», sagt Psychoanalytiker und Schriftsteller Jürg Acklin (69). «Ihm wird in den ganz privaten Bereich geschaut, direkt in die psychischen Weichteile.» An einen Ort, «der stark mit Scham besetzt» sei.

Rat des Analytikers
Es bestehe «eine grosse Gefahr, dass er verbittert wird, dass für ihn jeder ein Gegner ist», so Acklin. «Dass er ein Trauma erleidet und sich nur noch als Verletzten sieht.»

Eine Therapie könne helfe, «um aus der Endlosschlaufe rauszufinden – und mit sich ins Reine zu kommen.» Nötig sei, die Lebenssituation zu ändern. «Ein Mensch in dieser Lage sollte sich überlegen, sich aus der Politik zurückzuziehen.»

Der Fall wirft auch ein schiefes Licht auf uns Journalisten. Wir geben uns als Enthüller, dabei kamen die Geschichten, Bilder und Tonfiles pfannenfertig auf zahlreichen Redaktionsstuben an. Und SRF strahlte einen «Club» zum Thema bereits auf der Metaebene aus – obwohl bis heute noch vieles unklar ist.

Ein «Krieg», wie N. W. schreibt, ist der Fall Geri Müller nicht. Es ist eine Hysterie um einen nicht sonderlich effektiven Politiker mit eigenwilligen sexuellen Vorlieben.

Einvernehmlicher Sex ist Privatsache. Über die Politik urteilen letztlich die Wähler. Müller und N. W. müssen ihre Leben in Ordnung bringen. Es scheint an der Zeit, wieder zur Vernunft zu kommen.

Sonst übersäuert die Schweiz noch ganz.

*Name der Redaktion bekannt