Begegnungen 2012

Journalismus ist gut, wenn er aktuelle Themen mit Menschen plausibel darstellt. Das habe ich im vergangenen Jahr als Autor der Blick-Gruppe gemacht. Grossem Dank verpflichtet bin ich den Menschen, die mir ihre Zeit gaben.

Eine Auswahl von Begegnungen 2012

Januar

Mit dem Marathon-Man bei den Mächtigen
Mittwochabend, 17.38 Uhr. Ein SMS aus Bern erreicht den Reporter in Davos. «Wir fliegen jetzt ab, Landung zwischen 19 Uhr und 19.10 Uhr.» Zwei Minuten später: «Abgehoben um 17.40 Uhr.»

Mit dem Helikopter der Schweizer Armee fliegt Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann (59) von Bern nach Davos. Vier Tage lang wirbt er in der verschneiten Alpenstadt für die Schweizer Wirtschaft, am Weltwirtschaftsforum, dem Tummelplatz der Reichen und Mächtigen.

Kurz vor 19 Uhr landet der Bundesrat. Einen Bauernhof haben die Davoser zum ­Heliport umgestaltet. Man riecht es. Bei jeder Landung wirbeln Rotoren den Schnee auf, der auf gefrorener Gülle liegt.

Schneider-Ammann besteigt eine schwarze Limousine, braust ins ­Hotel Schweizerhof. Dicht dahinter folgt ein Wagen der Polizei, ein dritter befördert seine Berater. mehr

Januar | Februar | März

Der Fall Hildebrand

“Der alt Bundesrat weiss nicht mehr, als was in der Presse steht”

“Ich habe Fehler gemacht, und ich bedauere es”

Was der Whistleblower wirklich wollte

Jede Affäre hat ihr Bild

“Ich bin das kleinste Zahnrad”

Die Welt der globalen Nomaden

Wer hat dieses Dokument fabriziert?

Es ging um Geld & einen Job – und viele mehr

April

Ich bin der Affe, der auf den Baumkronen rumturnt
Peter Maurer befreite die Geiseln aus Libyen, etablierte die Schweiz bei der Uno. Jetzt verliert das Land seinen cleversten Staatsdiener. Als Präsident beim Roten Kreuz erklimmt er den Olymp globaler Diplomatie.
Bern bricht auf ins lange Wochenende. Eilig verschwinden Beamte unter den Lauben. «Frohe Ostern», wünscht Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann einem Passanten vor dem Bundeshaus. Wind und Regen zerzausen sein Haar. Dann ist auch er weg.

Einer nur scheint am Gründonnerstag, um 16 Uhr, noch zu arbeiten: Peter Maurer, Staatssekretär im EDA, liest in seinem Büro im Bundeshaus West Akten. Als einer der fleissigsten Staatsdiener gilt die Nummer zwei im Aussenamt. Nie schläft er länger als vier Stunden. Sagt von sich, Stress nicht zu kennen, da er täglich 20 Stunden wache Zeit habe. mehr

Soldat Luca, kein Opfer, kein Held
Kerngesund und voller Optimismus geht Luca Barisonzi mit 18 zur Armee. Mit 20 schiesst ihn ein Afghane in den Hals. Jetzt ist der italienische Grenadier gelähmt und lässt sich in Nottwil pflegen.

Sanft schiebt die Mutter ein Brett unters Gesäss ihres Sohnes. Ein Pfleger zieht ihn darauf vom Bett in einen Rollstuhl. Plötzlich scheppert das Brett zu Boden. «Besser das Holz fällt runter als Luca», sagt die Mutter. Sie umarmt ihn zärtlich.

Luca ist der Obergefreite Barisonzi (22), ein italienischer Grenadier in Schweizer Pflege. Seit sechs Monaten lebt er im Paraplegiker-Zentrum im luzernischen Nottwil.

Sein Rollstuhl steht in einem Einzelzimmer im Trakt B. Am Balkon hängt eine italienische Tricolore. «Ich kann nicht mehr gehen, ohne Hilfe kann ich nichts essen», sagt Luca. Er ist querschnittgelähmt. «Aber ich kann mich noch kratzen, und den Kopf habe ich noch.» mehr

 

Zum Glück ist morgen wieder Montag
In seinem neusten Buch untersucht der Philosoph Alain de Botton die Arbeitswelt. Er sagt, warum unglückliche Eheleute bessere Arbeiter sind, eine schwierige Kindheit ihre guten Seiten hat, Sex den Arbeitsplatz vergiftet – und warum er kein Sushi mehr isst.
Was arbeitet einer, der bloss schreibt? «Ich verschiebe die Buchstaben des Alphabets», sagt Alain de Botton, ein Schweizer in England, derzeit einer der weltweit erfolgreichsten Autoren.

Er sitzt in der Lounge der Swiss am Flughafen Kloten. Ist in Zürich, um über «Freuden und Mühen der Arbeit» zu reden – sein neues Buch über die Arbeitswelt.

«Die meisten Menschen verschieben schwere Objekte, ich ordne die Wörter», sagt er. «Weil Wörter nicht physisch sind, verherrlichen wir Schriftsteller körperliche Arbeit.» Deshalb schaue er anderen beim Schaffen zu.

Dann hat er den besten Job? «Nein, es ist einer der schlimmsten.» – «Schreiben ist schwierig, weil man es immer besser machen kann.» – «An vielen Tagen produziere ich nur Mittelmass.» mehr

Mai

Die Masse der Deutschen stört mich
Plötzlich kennt ganz Deutschland die SVP-Nationalrätin Natalie Rickli. «Wir haben zu viele Deutsche im Land», sagte sie letzte Woche. Jetzt legt sie nach.

Frau Nationalrätin, was haben Sie gegen Christoph Blocher?
Natalie Rickli: Was soll diese Frage?

Blochers Vorfahren wanderten aus Württemberg ein. Hätten Sie damals gelebt, wäre er nicht hier.
Ihre Frage ist billig. Ich habe nichts gegen Ausländer, die sich integrieren, unser Land gernhaben, hier
arbeiten. Deshalb habe ich nichts gegen Christoph Blocher.

Deutsche mögen unser Land, sie integrieren sich, arbeiten.
Ich habe nichts gegen die Deutschen. Die Schweiz ist auf ausländische Arbeitnehmer angewiesen.

Sie sagen, es hätte zu viele Deutsche im Land. Was haben Sie gegen Deutsche?
Einzelne Deutsche stören mich nicht, mich stört die Masse. mehr

Ich war der Goalie in Auschwitz
Der Waliser Ron Jones geriet in Libyen in deutsche Kriegsgefangenschaft. 1943 kam er nach Auschwitz und stand jeden Sonntag im Tor der walisischen Nationalelf. Der 95-Jährige blickt zurück.
Es nieselt, ist kalt. Frisch riecht das Gras auf dem Fussballfeld im walisischen Dörfchen Bassaleg. Ein einziges Tor steht mitten auf dem unebenen Platz. Zwischen den Pfosten aufgestellt hat sich Ron Jones. Sachte bückt er sich zum Ball, der auf ihn zukullert, hebt ihn auf und wirft ihn behände zurück.

Er schmunzelt. «Fussball zu spielen, bringt Erinnerungen zurück.» Erinnerungen, die er jahrelang verdrängt hatte. An einen Ort, der wie kein anderer für die Unmenschlichkeit von Menschen steht. Es sind Erinnerungen an Auschwitz.

Jones, ein grosser, kräftiger und rüstiger Mann, ist 95 Jahre alt. Er verbrachte dreieinhalb Jahre in deutscher Kriegsgefangenschaft, 15 Monate davon in Auschwitz in Polen. Dort schuftete er unentgeltlich in einer Fabrik der IG Farben, stellte für die deutsche Wehrmacht Treibstoffe aus Kohle her. Jeden Sonntag, als die Schloten ruhten, spielte er Fussball. «Ich war in Auschwitz der Goalie der walisischen Nationalelf», sagt Jones. mehr

Krebs kann man nicht besiegen
Der St. Galler Onkologe Thomas Cerny über unsere heimtückischen Zellen – und warum die Pharmaindustrie die Krebsforschung behindert.
Professor Cerny, warum stirbt jemand an Krebs?
Thomas Cerny: Den Krebs gibt es nicht. Es gibt 210 verschiedene Krebserkrankungen. Meist sterben Krebspatienten wegen Komplikationen ihrer Krankheit. Oder der Tumor führt zu einer Schwächung mit Herz-Kreislauf-Versagen.

Kurt Felix hatte Krebs. Sie waren sein Arzt. Woran starb er?
Herr Felix hatte ein malignes Thymom, eine sehr seltene Krebsart. Der Tumor liegt im Brustkorb zwischen Lungen und Herz. Über die Umstände seines Todes kann ich wegen des Arztgeheimnisses nichts sagen. mehr

Juni

Samba für eine bessere Welt
Doris Leuthard über den Umweltgipfel Rio+20 und warum sie als junge Anwältin gar nicht grün war.
Frau Umweltministerin, ihr Vorgänger ass wegen der Umwelt kein Fleisch …
Doris Leuthard: … ich esse gerne ein gutes Stück Fleisch …

… wie verkleinern Sie denn Ihren ökologischen Fussabdruck?
Indem ich meine Ferien in der Schweiz verbringe. Ich esse saisonale und regionale Ware. Es ist ein Unsinn, Lebensmittel auf dem Luftweg zu transportieren.

Welches Mitglied des Bundesrats lebt besonders grün?
Wir alle verhalten uns rücksichtsvoll, fahren Zug und reisen nur, wenn es nötig ist.

Aber jetzt fliegen zwei Bundesrätinnen an den Umweltgipfel in Rio, zusammen mit 60000 Teilnehmern. Ist das nötig?
Um zu reden, muss man sich manchmal auch treffen. Videokonferenzen reichen nicht immer aus. Die Grösse solcher Konferenzen kann man immer hinterfragen. mehr

Die Schweiz in der Hypotheken-Falle
Der Brite Mark Branson ist höchster Aufpasser der Schweizer Banken. Er hält die Überhitzung des Häusermarktes für die grösste Gefahr.
Der Sheriff der Schweizer Banken ist ein höflicher Brite. Wie spricht er? «Auf Englisch bin ich etwas präziser, aber dann müssen Sie es ja übersetzen», sagt Mark Branson. «Reden wir doch deutsch.»

Branson sitzt im Zürcher Finma-Büro im Kreis 4. Er gilt als kluger Kopf. Ins Rampenlicht trat er im Sommer 2008. Noch im Sold der UBS, räumte er vor dem US-Senat grobe Fehler der Grossbank ein. UBS-Banker hatten amerikanischen Kunden geholfen, den Fiskus auszutricksen. Demütig entschuldigte sich Branson und half die Bank zu retten.

Auf Januar 2010 wechselte er zur Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma), als Leiter des Geschäftsbereichs Banken – trotz Lohneinbusse. mehr

“Reporters Like a Good Story”
Reporter Carl Bernstein describes how he revealed the Watergate scandal together with Bob Woodward – and what today’s investigative journalism has learned from this.
Mr. Bernstein, why was Watergate a good story?
Carl Bernstein: A good story is something that fascinates people, raises questions, and answers them.

Wasn’t Watergate about much more than that?
With Watergate, we are talking about the president of the United States, the most powerful individual in the world, who in the instance of Richard Nixon committed grave and egregious constitutional crimes and related criminal acts. But then, the American system worked. The press did its job, the judiciary did its job, and Congress did its job, and a president of the United States was forced to resign his office.

When did you realize that it was also an important story?
Right away. The original burglary was something extraordinary that almost certainly had to have high governmental involvement.

The White House characterized Watergate as a “third-rate burglary”.
It’s very important to recognize that Watergate was not simply about the break-in at the Democratic headquarters. It was a massive campaign of political espionage and sabotage directed by the president, intended to undermine the most precious of all American freedoms, which is free elections. more

Die Schweiz hat keine Freunde mehr
Adolf Ogi – seine Abrechnung mit der Politik, den Medien und mit Gott.
In diesen Wochen wird einer der grössten Schweizer Politiker 70 Jahre alt: Adolf Ogi. Zum Jubiläum erscheint eine neue Biografie. Sie zeigt ihn als Familienmenschen, Bergler und Bundesrat. Und als Staatsmann von Welt.

Ogis Händedruck ist kräftig, er wirkt vital. Und er flösst Respekt ein. Denn Ogi hat sich die rot-weisse Krawatte umgebunden. Trägt er die – das wussten seine Mitarbeiter –, dann gilt es ernst.

Herr Ogi, Sie sind jetzt 70 …
Adolf Ogi: Halt! 70 werde ich erst in einem Monat.

Haben Sie noch Lampenfieber?
Immer. Ich muss nervös sein, um mein ganzes Charisma und Leistungsvermögen abzurufen.

Sie versuchen nicht, das Lampenfieber abzuschütteln?
Im Gegenteil. Vor jedem Auftritt stelle ich mir vor, es sei der wichtigste meines Lebens. Verfiele ich der Routine, wäre ich langweilig. mehr

Juli

“Akzeptabel ist nur eine echte Demokratie”
Mit Weinen aus seinem Heimatkanton schuf der Schweizer Aussenminister an der Syrien-Konferenz eine möglichst entspannte Atmosphäre.
Herr Bundesrat Burkhalter, Sie haben Ihren Gästen zwei Weine aus Ihrem Heimatkanton Neuenburg aufgetischt. Wie haben sie den Aussenministern gemundet?
Didier Burkhalter: Der Wein stammt aus dem Dorf, in dem ich zur Welt kam. Ich habe alle gefragt, wie der Wein ihnen schmecke. Sie sagten, er hätte ihnen gemundet. Ich habe aber gemerkt, dass die Amerikaner Coca-Cola tranken.

Die Konferenzteilnehmer sind angespannt. Wie war die Stimmung beim Schweizer Lunch?
Überraschend gut. Die Unterhändler konnten kurz abschalten. Das wollte ich erreichen. Genf ist die Stadt des Friedens. Um Frieden zu schaffen, kann eine spezielle Schweizer Atmosphäre nützlich sein. Beim Essen kam sie sofort auf. mehr

Sieben, die sich einfach gut verstehen
Die Bundesräte gehen auf Tuchfühlung mit Volk und Kollegen. Ihre Berater bleiben in Bern. Unsere Regierung harmoniert, zeigen zwei Tage im Bündnerland.
Ueli Maurer greift sich ein Glas Bier, geht in die Menge. «Ich fühle mich wie der Bär im Bärengraben», sagt er, «alle schauen mich an.»

Bei ihrem Wächter steht Simonetta Sommaruga, blickt zu Boden, als wolle sie niemanden sehen.

Doris Leuthard herzt ein Mädchen, wippt dann rhythmisch zu den Klängen der Ländlerkappelle.

Spontan legt Didier Burkhalter den Arm um eine Bäuerin, lässt sich fotografieren. «Mein Name ist Didier», sagt er, drückt ihr die Hand.

Es ist Donnerstag, kurz nach vier. Drei Bundesrätinnen und vier Bundesräte sind eben auf dem Dorfplatz von Scuol GR eingetroffen. Rund 200 Schaulustige sind da, tragen ihre besseren Kleider, die farbige Bluse, das frisch gebügelte Hemd, saubere Schuhe. Aus Fenstern hängen Flaggen. Die Sonne brennt. Kinder kühlen ihre Beine im Dorfbrunnen. mehr

Viel konnte ich von meinem Vater nicht lernen
Wie Magdalena Martullo als Mutter einen Weltkonzern führt. Wann sie in die Politik einsteigt. Und warum Bauern der Industrie und zu viele Frauen dem Bundesrat schaden.
Als sei es die normalste Sache der Welt, trägt Magdalena Martullo-Blocher (42) das Konzernergebnis der Ems-Chemie vor: mehr Umsatz, mehr Gewinn. Trotz Krise. Ja, den Rekord von 2011 dürfte sie 2012 nochmals übertreffen, sagt die Konzernchefin eher nebenbei.

Verdoppelt hat sich der Kurs der Ems-Aktie seit 2004. Damals löste sie Christoph Blocher an der Spitze der Chemiefirma ab. Was macht sie besser als ihr Vater? Dies die erste Frage im Interview. Sie lässt sie offen.

Okay, was hat sie von ihm gelernt? Sie will nicht einfach Tochter des berühmten Vaters sein, wie ihre Antwort zeigt. «Ich mache es so, wie ich es richtig finde, viel konnte ich von ihm gar nicht lernen.» Gerade mal drei Jahre habe sie an seiner Seite gearbeitet. «Er zog sich ja auf die Finanzen und die Steuern zurück, und ich habe das Geschäft ohne ihn geführt.» mehr

Banken sind niemals beliebt
Brady Dougan: Der Chef der Credit Suisse sagt, was die Banken tun müssten, um das Vertrauen wiederzufinden.
Herr Dougan, ist das gestern veröffentlichte Quartals­ergebnis der Credit Suisse gut genug, um Ihren Job zu retten?
Brady Dougan: Ich richte mich nicht danach aus, wie ich meinen Job retten kann. Das Resultat zeigt: Wir können in einem schwierigen Umfeld gute Gewinne erzielen. Die Eigenkapitalquote von neun Prozent mag auf den ersten Blick bescheiden wirken. Sie ist aber eine der höchsten der Branche.

Nachdem Sie die Kosten um zwei Milliarden Franken gesenkt haben, wollen Sie diese bis Ende 2013 um eine weitere Milliarde senken. Wie viele Stellen streichen Sie?
Im ersten Halbjahr sparten wir zwei Milliarden ein. Das kostete 2500 Stellen. Bei den zusätz­lichen Massnahmen zur Effizienzsteigerung geht es nicht allein um Stellen. Insgesamt dürfte die Zahl der Jobs Ende 2013 nur unwesentlich tiefer sein. mehr

August

Auf eine Zigi mit Zaugg
Die Kunstfigur des umtriebigen Tabaklobbyisten Marcel Zaugg zerrt die Absurdität der Argumente der Tabakindustrie ins Scheinwerferlicht – mit giftiger Ironie.
Seine Freunde nennen ihn «Ziggy». Er liebt Amerika, lange Autos, Frauen in kurzen Röcken. Pafft nonstop, tritt vehement für Zigaretten ein. Denn Marcel Zaugg (44) ist in Bundesbern ein einflussreicher Lobbyist, steht dick im Sold der Tabakindustrie, ist auf allen Kanälen zu sehen, zu hören, zu lesen.

Allerdings: Marcel Zaugg ist die Schöpfung eines vifen Werbers. Ein Schauspieler verkörpert ihn.

Daniel Graf (39), einst Mediensprecher bei Amnesty International, hat «Ziggy» Zaugg entwickelt.

Mit der Kunstfigur wagt Graf etwas, was in der Schweiz bisher noch nie so recht funktioniert hat – eine geistreiche politische Kam­pagne humorvoll zu bestreiten. mehr

Ohne Online-Werbung stirbt die SRG
Der Swisscom-Chef erklärt, wie wir künftig fernsehen. Warum im Zug das Handy nicht funktioniert. Und wann er seinen Kindern das iPad abstellt.
Herr Schloter, wann bietet Swiss­com das neue iPhone an?
Carsten Schloter: Das möchte ich auch gerne wissen.

Sie wissen nicht, wann das begehrteste und wichtigste Produkt Ihrer Branche erhältlich ist?
Wüssten wir es, würden es andere Anbieter und die Medien wissen. Es wäre kein Geheimnis mehr.

Seit es das iPhone gibt, diktiert Apple Ihr Geschäft.
Das sehe ich anders. Apple hat die Branche mit fundamentalen Neuerungen vorangebracht. Vor kurzem war mobiles Internet noch ein Exotenprodukt. Das iPhone hat es demokratisiert. Klar, Apple hat Macht. Aber die kommt nicht aus heiterem Himmel. Sie ist verdient. mehr

September

Der Mann ohne Plan B
Der Chefunterhändler im Steuerstreit erklärt, warum das Steuerabkommen mit Deutschland gut ist – und wie es mit den USA weiter geht.

Herr Ambühl, denken Sie oft an Ihren Rücktritt?
Michael Ambühl: Nein, oder sollte ich, weil ein paar deutsche Politiker die Schweiz kritisieren?

Wem die Erfolge ausbleiben, muss an Rücktritt denken.
Wir haben Erfolge. Mit Deutschland, Österreich und Grossbritannien haben wir Steuerabkommen unterzeichnet. In der Schweiz hat das Parlament die Abkommen genehmigt. In Grossbritannien und in Österreich sind sie genehmigt.

Das wichtigste Abkommen mit Deutschland droht zu scheitern, mit den USA herrscht Stillstand. Was haben Sie falsch gemacht?
Man kann nicht verhindern, dass ein Vertragspartner ein unterzeichnetes Abkommen nicht ratifiziert. mehr

Wer das Füdli lüpft, ist sein Geld wert
Bundesrat Johann Schneider-Ammann erklärt, warum viele ausländische Arbeitskräfte die Schweiz stärken – und das Volk ihn mag.
Herr Bundesrat, Sie gelten als Sieger der Session. Feiern Sie?
Johann Schneider-Ammann: Ich habe Freude am Ergebnis, denn es ist gut für die Landwirtschaft und den Werkplatz. Als persönlichen Erfolg sehe ich das aber nicht. Setzt sich ein Bundesrat durch, ist das gesamte Kollegium siegreich.

Wie kann sich ein Ex-Industrieller für Landwirtschaft erwärmen?
Ich wuchs mit der Landwirtschaft auf. Mein Vater war Tierarzt. An schulfreien Tagen habe ich ihn begleitet. Stimmte der Bauer zu, erlaubte mir mein Vater, bei Kälbergeburten jeweils den Kaiserschnitt zu machen. Durfte ich nicht schneiden, «schnurpfte» ich die Naht zu. Vermutlich könnte ich es noch heute. mehr

Oktober

Auf der Flucht, um zu retten, was geblieben ist – das Leben
Ein syrischer Koch arbeitet als Tagelöhner, ein Schneider verkauft Autos – und warum nicht alle syrischen Flüchtlinge im Libanon gleich sein.
Golden glänzt der Jeep, hinter dem sich Masood versteckt. «Fang mich doch», ruft der vierjährige Knabe seiner Schwester zu. Waghia (3) rennt am blauen BMW vorbei, passiert den silbernen Mercedes. Sie glaubt, Masood zu packen. Da schlüpft der flugs unter einen Geländewagen.

Die Kinder tollen rum, wo sie seit sieben Monaten wohnen – auf dem Parkplatz eines Gebrauchtwagenhändlers in Sidon, im Süden Libanons. Ihr Vater verkauft alte Autos. Schergen der syrischen Armee ermordeten kaltblütig 32 seiner Verwandten. Weil er um sein Leben fürchtete, floh er in den Libanon.

Ein bulliger Kerl ist Omar Harmoush (41). Fünfzehn Kinder ­haben ihm seine drei Ehefrauen geboren. Krause Haare bedecken Arme und Brust, aus dem Mund blitzt ein Goldzahn. Mürbe gemacht hat den starken Mann, was er in seiner Heimat sah. Omar war Zeuge, wie syrische Soldaten seinen Schwager erschossen, drei Cousins töteten. «Sie haben ihnen nichts angetan.» mehr

November

Die durchschnittlichste Stadt Amerikas
Wer Präsident werden will, muss in Ohio siegen. Nirgends ist es knapper als in Wood County.
Ein einziger Stuhl steht im engen Barbershop. Seit 40 Jahren schneidet Hal Huber (65) hier Haare, stutzt Bärte. Zehn Dollar verlangt er. «Über Politik rede ich nie», sagt Huber. Weil er keinen Streit will. «Warten zwei Kunden, sind es meist ein Demokrat und ein Republikaner.»

Sein Salon liegt an der Main Street in Bowling Green, der Hauptstadt von Wood County in Ohio. Es ist der durchschnittlichste Bezirk der USA – und meist der wahlentscheidende. 49 Prozent wählen Demokraten, 49 Prozent Republikaner, der Rest mal so, mal so. Bei Präsidentschaftswahlen hat der Sieger seit 1980 stets auch in Wood County gewonnen. Mehrmals besuchten deshalb Barack Obama (51) und Mitt Romney (65) den Bezirk. Vorgestern Donnerstag schaute Ex-Präsident Bill Clinton vorbei. Am Freitag schien die ganze Familie Romney in Ohio zu sein.

Sie alle kommen, weil Präsident wird, wer in Ohio gewinnt. Nötig ist dafür ein Sieg in Wood County. «Amerika im Taschenformat» nennt Coiffeur Huber den Bezirk südlich von Toledo. Eine Universität beherbergt die Stadt. Farmer züchten östlich und westlich davon Rinder. Im Norden schrauben Arbeiter Autos für Chrysler zusammen. Wagt der Coiffeur eine Prognose? «49 zu 51 oder 51 zu 49.» mehr

Amerikas Herzschlag
Amerika floriert – in Texas. Jeden Tag bringt die Kleinstadt Cuero einen Millionär hervor. Dank dem grössten Erdöl- und Ergas-Boom seit 40 Jahren.
Vier blütenweisse Stahlrohre schweben über staubigem Grund. An einem Ende münden sie in einen Tank, am anderen zapfen sie den Wüstensand an, saugen einen grünlich-schmierigen Saft aus dem Boden: Erdöl. George Bishop öffnet einen Verschluss und lässt die Brühe in die offene Hand fliessen. «Nach was riecht das?» Nach bitterem Olivenöl? «Falsch, so riecht Geld.»

Davon hat Bishop (76) reichlich. Er ist Milliardär und will jetzt noch reicher werden. Deshalb zog er vor zwei Jahren nach Cuero, ins Herz von Texas. Er kaufte Land. Seither hat er darauf 70 Ölquellen gegraben. Täglich holt er 70000 Fass des kostbaren Rohstoffs aus dem Boden. Was ihm einen Umsatz von sieben Millionen Dollar bringt – jeden Tag.

Noch vor vier Jahren stoppte kaum einer in Cuero, wenn er von San Antonio zum Golf nach Mexiko fuhr. Heute kann man vom Strassenrand zusehen, wie sich die USA und somit die Welt verändern. mehr

 

Um 22 Uhr 20 brach der Jubelsturm los
Ausgelassen feierten seine Anhänger in Chicago Präsident Barack Obama. Tenor im McCormick Place: Er muss anpacken, was er bisher versäumte.
Zuerst ein dumpfes Raunen, dann durchzieht ohrenbetäubendes Gekreische die Halle des McCormick Place in Chicago. Dienstagnacht, 22.20 Uhr. Zehntausend Menschen schreien, fallen sich in die Arme, tanzen. Barack Obama (51) ist Wahlsieger.

Sechzig Millionen Amerikaner gaben dem Präsidenten ihre Stimme – 50 Prozent der Wählerschaft. Auf den republikanischen Herausforderer Mitt Romney (65) entfielen 48 Prozent. Obama hat bisher 303 Wahlmänner erhalten, Romney 206. Offen ist Florida.

Um halb eins betritt Obama mit Gattin Michelle und seinen beiden Töchtern die rot-weiss-blau geschmückte Bühne. «Die Wirtschaft erholt sich», stimmt Obama optimistisch an. «Zehn Jahre Krieg sind bald vorbei.»

Seine Anhänger horchen in ihren besten Roben. Viele Männer tragen Anzug und Krawatte. Frauen schicke Kleider und adrette Schuhe. Sie wissen: Für historische Ereignisse macht man sich hübsch. mehr

Die Schuld tragen ganz klar die Deutschen
Der ehemalige UBS-Präsident Peter Kurer über den Schweizer Finanzplatz nach dem deutschen Nein zum Steuerabkommen – und warum wir Schweizer nicht so wichtig nehmen sollten.
Herr Kurer, warum glaubt man Schweizer Banken nicht mehr?
Peter Kurer: Schweizer Banken sind glaubwürdig. Wir haben einen der stärksten und angesehensten Finanzplätze der Welt.

Die Banken betonten, es gebe keine deutschen Abschleicher. «Lüge», sagen SPD-Politiker. Woher rührt solches Misstrauen?
Das sind durchwegs politisch motivierte Aussagen deutscher SPD-Politiker.

Es ist schwierig, 80 Jahre Argwohn gegenüber dem Schweizer Bankgeheimnis zu überwinden.
Wir stehen an einem Wendepunkt. Wir achteten lange nicht darauf, ob bei uns angelegte Gelder ­steuerkonform sind. Das wird nun nicht mehr akzeptiert. In Sachen Steuerkonformität müssen wir den Finanzplatz klar neu positionieren.

Es ist unanständig geworden, ein Schweizer Bankkonto zu haben.
Das stimmt doch nicht. mehr

Kleinkunden sind den Banken ausgeliefert
Der Banken-Ombudsmann tritt ab. 20 Jahre lang half er Geprellten. Dabei hat er 35000 Beschwerden behandelt – und liess sich nie beeinflussen.
Hanspeter Häni (63) mag es altmodisch. Wer sich beim Banken-Ombudsmann beklagen will, muss ihm einen Brief schreiben. E-Mails akzeptiert er nicht. Dokumente legt er in Sichtmäppchen ab. Behandelte Fälle enden in etikettierten Bundesordnern.

Seit 1993 hat Häni 35000 Beschwerden von Schweizer Bankkunden abgewickelt. Jetzt tritt er ab, will endlich mehr Freizeit. Zurück bleibt eine «fundamental gewandelte Branche». Als er anfing, boten Schalterbeamte zehn Dienstleistungen an. Erst nach drei Jahren hatten sie alleine direkten Kundenkontakt. Heute muss einer fünfzig Sachen können – nach drei Monaten.

Das Bankgeheimnis galt als unumstösslich. «Heute liegt es auf dem Sterbebett», sagt Häni. Kreditkarten waren rar. Bei der Post zahlte man Rechnungen bar. Heute sei jeder Privatkunde, «haben Krethi und Plethi einen Kundenberater». mehr

Wer nicht mitzieht, kann gehen
Beim Frühstück erzählen Konzernchef Sergio Ermotti und VR-Präsident Axel Weber, wie sie bei der UBS aufräumen. Was ihnen Geld bedeutet. Und warum Banker nicht schlechtere Menschen sind als Politiker und Journalisten.
Herr Weber, wie gut ist Ihr Italienisch?
Axel Weber: Beim Italiener kann ich etwas zu essen bestellen.

Sergio Ermotti ist Tessiner. Reden Sie mit Ihm Englisch?
Weber: Wir sprechen Englisch und Deutsch – aber nicht Italienisch.

Herr Ermotti, was lernt ein Tessiner von einem Pfälzer?
Sergio Ermotti: Viel. Axel ist ja ein Professor.

Und was lernt ein Pfälzer von einem Tessiner?
Weber: Sergio kennt die Märkte. Er hat den Job des Bankers von der Pike auf gelernt. Er versteht das Tagesgeschäft wie kein zweiter in der Bank. mehr

Alle Artikel aus dem Jahr 2012

Fotos von: Pascal Mora, Remo Nägeli, Stefan Falke, Daniel Winkler, Robert Huber, Sabine Wunderlin, Mark Chilvers, Niels Ackermann, Joseph Khakshouri, Andrew McConnell, Gerry Nitsch