Die Schweiz in der Hypotheken-Falle

Der Brite Mark Branson ist höchster Aufpasser der Schweizer Banken. Er hält die Überhitzung des Häusermarktes für die grösste Gefahr.

Interview: Peter Hossli Fotos: Sabine Wunderlin

mark_branson2Der Sheriff der Schweizer Banken ist ein höflicher Brite. Wie spricht er? «Auf Englisch bin ich etwas präziser, aber dann müssen Sie es ja übersetzen», sagt Mark Branson. «Reden wir doch deutsch.»

Branson sitzt im Zürcher Finma-Büro im Kreis 4. Er gilt als kluger Kopf. Ins Rampenlicht trat er im Sommer 2008. Noch im Sold der UBS, räumte er vor dem US-Senat grobe Fehler der Grossbank ein. UBS-Banker hatten amerikanischen Kunden
geholfen, den Fiskus auszutricksen. Demütig entschuldigte sich Branson und half die Bank zu retten.

Auf Januar 2010 wechselte er zur Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma), als Leiter des Geschäftsbereichs Banken – trotz Lohneinbusse. «Das ist einer der spannendsten Jobs im schweizerischen Finanzsektor», rechtfertigt Branson (44) den Wechsel. «Es gibt wenige Länder mit einem derart bedeutenden und vielfältigen Finanzsektor wie die Schweiz.»

Um ihn ist der sonst besonnene Branson besorgt. Er warnt davor, Häuser zu kaufen. Droht in der Schweiz eine Immobilienblase? «Noch befinden wir uns wohl nicht in einer Blase», sagt Branson. «Aber es gibt in gewissen Regionen, etwa Zürich oder Genf, klare Tendenzen der Überhitzung. Beschleunigen sich diese, wird die Blase Realität. Sie würde platzen, wie es alle echten Blasen tun. Fragt sich nur, wann.»

mark_branson4Die Finma nehme das «sehr ernst», betont er. Denn: «Platzt tatsächlich eine Blase, sind die Auswirkungen auf die Schweizer Volkswirtschaft verheerend.» Es werde bestimmt «keine sanfte Landung» geben. «Wir müssen deshalb in der Schweiz intensiv darüber sprechen.»

Zumal viele Banken ihre Kunden zum Kauf von Wohneigentum drängen. Was Branson kritisiert. «Derzeit wird die Überhitzung kräftig angeheizt.» Er erklärt, wie: «Wir haben sehr tiefe Zinsen, fehlende Alternativen bei Anlagen und noch immer eine starke Zuwan­derung.»

Das Rezept der Finma: Ab 1. Juli müssen Kunden für neue Hypotheken mindestens zehn Prozent Eigenmittel bringen. Diese dürfen nicht aus Verpfändung oder Vorbezug von Pensionskassengeldern stammen. Zudem müssen nach 20 Jahren zwei Drittel amortisiert sein. Reicht das, um den Markt abzukühlen? «Zuvor gab es gar keine Bestimmungen», so Branson. «Diese Änderungen sollen sich auf die Nachfrage auswirken – diese wird sinken.» Weniger Leute sollten sich ein Heim kaufen.

Verhindern will die Finma, was in den USA 2008 die Finanzkrise ausgelöst hatte: Hausbesitzer, denen die eigenen Häuser zu teuer werden. «Ein echtes Subprime-Segment haben wir in der Schweiz klar nicht.» Branson aber sieht derzeit «eine Zunahme von Haushalten, die ihre Hypotheken nur knapp halten könnten, sollten die Zinsen einmal steigen».

Rasch wird einer zum Wohneigentümer. Banken gewähren Kredite zu geringen Zinssätzen, ein bis zwei Prozent. Viele greifen zu. Sie glauben, es bleibe so. Das macht Branson Sorge: «Wer sich eine Hypothek von vier oder fünf Prozent nicht leisten kann, soll sie nicht aufnehmen.»

mark_branson1Zwar töne ein solches Zinsniveau jetzt unrealistisch. «Aber die Zinsen werden wieder steigen», sagt der schlaksige Mathematiker – und zeichnet ein düsteres Szenario. «Eine Refinanzierung kommt immer zum falschen Zeitpunkt. Wer die Hypothek nicht zahlen kann, muss das Haus verkaufen.» Bei einem Zinsanstieg seien viele Leute gleichzeitig betroffen. «Das bewirkt eine Negativspirale.» Häuserpreise werden purzeln, die einst investierten Gelder der Pensionskasse sind weg.

Der Aufseher lehnt die Bauspar-Initiative ab, die nächsten Sonntag zur Abstimmung kommt. «Es gibt bereits einige Anreize, Wohneigentum zu fördern, auch steuerlich», sagt Branson. «Noch mehr Anreize wären in der jetzigen Situation widersprüchlich, wenn man auf der anderen Seite die Nachfrage durch Regeln bei den Banken einzudämmen sucht.»

Zu smart für die UBS sei Branson gewesen, heisst es am Paradeplatz. Was Branson trocken mit «no comment» kommentiert, den wenigen englischen Worten im zweistündigen Gespräch. Kann ein Brite Wächter der Schweizer Banken sein? «Die Nationalität spielt eine untergeordnete Rolle», meint er. «Erfahrung und Wissen sind wichtiger.» Er betont, dass er schon lange in der Schweiz lebt. Fünfzehn Jahre war er bei Schweizer Banken tätig, bei Credit Suisse wie UBS.

Um Interessenkonflikte zu vermeiden, traf er im Jahr nach dem Wechsel keine UBS-Leute, fällte keine Entscheide zur UBS. «Selbst den leisen Verdacht der Befangenheit können wir uns nicht leisten», so Branson. Die UBS habe sich seit 2009 stark verändert. «Sie ist heute eine fast neue Bank mit vielen neuen Entscheidungsträgern.»

Eine Behörde wie die Finma brauche Leute, welche Banken nicht nur aus dem Lehrbuch kennen, sondern vertraut sind mit der Kultur der Nadelstreifen. «Wir müssen verstehen, wie Banken und Banker ticken, wie Anreizsysteme funktionieren, was auf einem Trading Floor passiert», so Branson.

mark_branson_peter_hossliFall Adoboli
Insiderwissen hilft ihm jetzt, den Fall des einstigen UBS-Traders Kweku Adoboli zu untersuchen. Der Ghanaer flog im September in London auf. Er soll 2 Milliarden Franken verzockt haben. «Ganz verhindern lassen sich solche Fälle nicht», so Branson. Es gehe nun darum, «etwas daraus zu lernen, den Markt vor solchen Vorkommnissen zu warnen und gezielte Kontrolle zu verlangen.»

Gegen Gangster mit weissen Kragen seien Banken letztlich nie gefeit. «Es lässt sich nicht ausschliessen, dass auch Leute mit krimineller Energie irgendwann bei einer Bank arbeiten.» Verleiten hohe Boni die Trader zu Risiken? «Ja, aber Trader sind nicht nur finanziell motiviert», sagt er. «Viele sind auch davon getrieben, möglichst schnell zu Star-Tradern aufzusteigen.» Sie drängen nach Ansehen. «Diese Gier nach Anerkennung lässt sich nicht regulieren.»

Nach der Finanzkrise
Vor vier Jahren begann die Finanzkrise. Seither verlangen Politiker härtere Regeln für die gebeutelte Branche. «Wir Engländer sagen: Man schliesst die Stalltür, wenn die Pferde schon ausgebrochen sind.» Branson lächelt. Warum schliesst vorher niemand die Tür? «Vor der Krise gab es über zehn Jahre einen Trend zu weniger Regulierung und tieferen Eigenkapitalvorschriften. Dies war mitschuldig an der Krise.» Er verspricht: «Jetzt analysieren wir die Krise – und nehmen Korrekturen vor.»

mark_branson10Das freut nicht alle. Schweizer Banker klagen, die Finma reagiere mit strengeren Vorschriften als andere nationale Aufsichtsorgane. «Die Schweiz hat eine andere Ausgangslage», erklärt Branson. «Wir haben einen sehr grossen Finanzsektor in einer relativ kleinen Volkswirtschaft.» Zudem habe die Schweiz zwei grosse, weltweit aktive Finanzhäuser. «Deshalb müssen unsere Banken besser mit Kapital ausgerüstet sein als Banken in Volkswirtschaften mit einer proportional kleineren Finanzbranche.»

Schweizer Banker schimpfen, die hohen Eigenkapitalvorschriften verschlechtere ihre Wettbewerbsfähigkeit. Branson spricht von einem «moderaten Swiss Finish» bei den Eigenmitteln. «Der ist vertretbar. Die Banken kommen dafür in eine sicherere Lage – ohne grossen Nachteil im Markt.»

Was sagt er zum Vorwurf der NZZ, man fühle sich bei fünf Franken ­Eigenkapital auf 100 Franken Bilanzsumme kaum sicher? «Die ­einen sagen, wir gehen zu weit – die anderen, wir müssten noch weiter gehen. Mein Schluss: Wir liegen ungefähr richtig.» Banken müssten in der Lage sein, gute Renditen zu erzielen. Sonst leiden sie langfristig. «Wir brauchen sichere und erfolgreiche Banken.»

Verhindern Regeln die nächste Krise? «Nein, die nächste Krise kann wieder aus einer anderen, erneut unerwarteten Ecke kommen. Das bedeutet aber nicht, dass es falsch wäre, jetzt die Fehler der Vergangenheit auszumerzen.»

mark_branson9Finma unter Beschuss
Letzte Woche fragte SVP-Nationalrat Alfred Heer den Bundesrat an, ob die Finma unrechtmässig Daten an die USA geliefert hatte, quasi an den Feind im Steuerstreit. Nein, sagt der Bundesrat. Und Branson? «Es bestehen keinerlei Hinweise, dass die Finma ausserhalb ordentlicher Prozesse Daten in die USA geliefert hat.» Doch hält sich das Gerücht hartnäckig, die USA gingen mit Hilfe von Finma-Listen gegen Banken vor. Warum, weiss Branson nicht. «Aber es handelt sich tatsächlich um eine Legende.» Die USA hätten ihre Kenntnisse aus anderen Quellen, insbesondere aus dem Selbstanzeige-Programm für reuige Steuersünder. «Es gibt Zehntausende von amerikanischen Kunden, die ihre Beziehungen mit Schweizer Banken komplett offengelegt haben.»

Die SVP greift die Finma an. Gerät sie nach der Nationalbank ins Visier? «Das darf uns nicht interessieren», sagt Branson. «Gerade wenn es Turbulenzen an den Finanzmärkten gibt, müssen wir ruhig und sachlich bleiben und für die Schweiz die beste Lösung für Aufsicht und Regulierung suchen.» Führe man neue Regeln ein und stünden die Institute zusätzlich in einem anspruchsvollen Umfeld, «ist man als Aufsichtsbehörde einer so wichtigen Branche oft nicht besonders populär», sagt Branson. Er dürfe nicht den Anspruch haben, populär zu sein.

Derweil werfen Banken der EBK vor, der Vorgängerbehörde der Finma, sie hätte 2008 und 2009 andere Banken davor warnen sollen, US-Kunden von der UBS aufzunehmen. «Diese Gefahr war ja öffentlich», entgegnet Branson. «Die UBS hat diesen Prozess im hellen Scheinwerferlicht abgewickelt. Es war keine Warnung einer Aufsichtsbehörde nötig, um diese Gefahr zu erkennen.»

mark_branson5Weissgeld-Strategie
Jahrelang nahmen Schweizer Banken Schwarzgelder entgegen, was grosse Risiken barg. Wie verhindert die Finma dies? «Gänzlich verhindern lässt sich das zum jetzigen Zeitpunkt nicht», sagt Branson. «Das Halten unversteuerter ausländischer Gelder ist in der Schweiz heute noch nicht illegal.» Aber: «Nimmt eine Bank ­systematisch unversteuerte Gelder entgegen, setzt sie sich grossen
Risiken aus. Schlimmstenfalls gefährdet sie die eigene Existenz.» Die Finma könne zwar keine ausländischen Gesetze durchsetzen. «Es ist aber inakzeptabel, dass Banken unverhältnismässige Risiken auf sich nehmen.»

Er nennt die Abgeltungssteuer als «sicher vielversprechende» Lösung für die Altlasten. Doch wie sind Schwarzgelder in der Zukunft zu verhindern? «Banken müssen bei der Entgegennahme von Neugeldern und bei neuen Kunden­beziehungen mit grösster Sorgfalt vorgehen. Es ist aber nicht möglich, das Risiko auf null zu fahren. Die Banken sind nicht verantwortlich für die Steuerehrlichkeit ihrer Kunden.» Was nicht nur in der Schweiz der Fall sei, sondern weltweit.

Während Jahren lebte der Schweizer Finanzplatz von der Verwaltung von Schwarzgeld. Wie wird sich die Branche nun verändern? «Banken, die auf Vermögensverwaltung spezialisiert ­waren, stehen vor Herausforderungen», sagt Branson. «Die Anforderungen werden steigen und ich gehe daher davon aus, dass es weniger kleine Banken geben wird und es zu Fusionen sowie einer Konsolidierung im Markt kommt.»

Das gesamte Interview mit Mark Branson